Frisch gepreßt #426: Christoph & Lollo „Mitten ins Hirn“

Früher mal durften sich Christoph & Lollo als Geheimtip bezeichnen, geradezu als Inbegriff eines solchen: Da spielten sie vor fünfzehn tapferen Neugierigen im Vereinsheim, verborgen vor Augen und Ohren sämtlicher anderen Menschen, die sie nicht kannten. Aber wer sie kannte, der empfahl sie mit leuchtenden Augen weiter, ihre oft untergründig fröhlichen, tief drinnen melancholischen und vor Zorn leise bebenden, bisweilen grell sarkastischen bis regelrecht zynischen Lieder über die Dinge der Welt und des Lebens, Kleinigkeiten, Details und hier und da eine Gesamtschau in einem Nebensatz
oder auch nur einem Gesicht, einem herausfordernden (Christoph) bzw. leicht schmerzlich belustigten (Lollo) Blick, nachdem ein solcher Satz gesungen war und verarbeitet werden mußte, herumsprang wie ein Flummi im Hirn des Hörers, ehe sich das erkennende Lächeln oder Lachen befreite, umflort von und eingebettet in scheinbar harmlose Bühnendiskussionen über dies und das Nichtige, die manchmal bis oft den Hauptspaß ausmachten.

So wurden sie langsam bekannter, und wenn das so weitergegangen wäre seit gut zwanzig und insbesondere in den letzten zehn Jahren, dann kämen heute bestimmt doppelt so viele Leute zu ihren Auftritten außerhalb von Österreich und sängen mit kichernder, schräg infizierter, erkenntnisgetränkter Inbrunst diverse Lieder über Skispringer mit, und gut wär das auch. „Ich hasse die Menschen im Fernsehen“ wäre immer noch die Hymne aller im Schatten des weltweit rummelnden Buntgeflimmers verborgenen Feinsinnigen, phänomenische Summe einer trotzig-verletzten Einsicht und Haltung, in der sich viele andere sammeln und finden.

Aber dann wurden Christoph & Lollo auf wunderliche Weise zu einer Art One-Hit-Wonder. Mal sehen, bei wem‘s klingelt, wenn wir jetzt alle in wuchtigstem Westkurvenbariton mitgrölen: „Es ist vermutlich kein Vergnügen …!“ Na? Genau. Da haben wir alle mitgegrölt, das windige Dasein von Fußballprofis bequeckt und bekichert, exemplarisch und stellvertretend für vieles andere, was ähnlich dreist und dumm durch die moderne Scheinwelt wolkt. Da wußten aber auch die üblichen Wissenden, nicht alle ganz unhämisch: So ein Lied schreibst du einmal im Leben und dann nicht mehr!

Weil die solcherart Wissenden halt manchmal auch nicht alles wissen. Zum Beispiel daß Christoph & Lollo da (2008) schon fünf Alben im Katalog stehen hatten, zuletzt das summarisch betitelte Großwerk „Hitler, Huhn und Hölle!“, dahinter dreimal Skispringerlieder und ebenfalls, etwas diskreter, prototypisch „Trotzdemtrotz“. Da staunten sie, als die beiden unverändert witzsprühend wieder daherkamen und jede Menge solche Lieder dabeihatten, grelle Hymnen und sanft krabbelnde Ohrwürmer, die locker vier bis sieben Gesamtprogramme anderer Kabarett-Independent-Liedermacher füllen und versilbern könnten, wenn das noch wer so könnte außer ihnen. „Das ist Rock ‘n‘ Roll“ zum Beispiel, und „Kunstscheiße“, o ja.

Was Christoph & Lollo dann waren und weiterhin sind, ist schwer zu sagen. Ein Geheimtip vielleicht immer noch für die, die bisher nicht das Glück hatten, in die halboffene Tür hineinzustolpern. Stars für die, denen Stars etwas anderes bedeuten als denen, denen sie das Übliche bedeuten. Irgendwie so. Zwei Menschen, die ihr Genre so umfassend erfüllen und definieren, daß man bei aller gelegentlichen Blitzeinsicht doch schon weiß, was drinsteckt und herauskommt, und sich verlassen kann, daß es gut ist.

Jetzt geht es weiter, und wieder sagt der Titel sehr genau, wo es hingeht: „Mitten ins Hirn“, das auch ein Herz ist, ein brüchiges, aber großes. Die neuen Lieder über internetmoderne Verblödung, Hipstergewese, demonstrativen Idealvegetarismus (Obacht, dies schreibt einer, der kein Tier ißt!) und manch anderes, was manchmal augenfällig, oft erst auf den dritten Blick ein geistvolles Leben zerschrammt, sind fies, aber selten gemein, klug, aber nie besserwisserisch, beleidigt, aber nicht larmoyant, witzig, aber oft nicht zum Lachen, sondern auch mal zum Weinen. Daß man sie öfter als ein-, mehr als zehnmal hören kann, dafür sorgt neben den vielen Brüchen und verborgenen Pfaden in den Hintersinn Lollos meisterhaftes musikalisches Empfinden, das Melodien herauskitzelt, wo scheinbar keine drin sind, und Banalem so instinktiv aus dem Weg geht wie das Eichkätzchen den hohlen Nüssen.

So: sind wir weiterhin froh, beleidigt sein zu können, uns fröhlich zu freuen an dem, was wehtut. Weil‘s gut ist.

Die Kolumne „Frisch gepreßt“ erscheint alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

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