Frisch gepreßt #422: Featherwolf „In The Living Room“

South of no north: Im tiefsten Süden, den menschliche Phantasie sich vorzustellen vermag, wo die Geckos gelähmt im Schatten kochen, die Giftluft glüht, die Geister nur nachts leise seufzen, wo Blut, Schweiß und Tränen die Erde tränken und der Mensch in diabolischer Sünde ein Traumleben träumt, in diesem tiefsten aller Süden, wo weit im höchsten Norden nichts zu finden ist als Süden – dort bin ich einst Maria begegnet, die mich hineinwarf in einen brennenden erotischen Alpwunschtraum, aus dem es ein Erwachen nur im tiefsten Rausch gab.

„I don’t wanna make up, I just wanna fight / All through the covers in your bed tonight“ … Man darf davon träumen, Marie Krueger zu begegnen, sich von ihr hineinwerfen zu lassen in den ältesten Alpwunschtraum der Geschichte menschlichen Sehnens. Aber man sollte wissen, daß es kein weiches Bett ist, das einen dort erwartet, umflockt von Wattewolken, umspült von weichen Klängen. Nein, bei Marie klirren die Saiten, knallen die Trommelfelle und Drahtbespannungen, und wenn sie singt und sich mitreißen läßt von der schwellenden Dynamik der Männer an den Instrumenten, dann ist man rettungslos verloren.

Auf den Boden: Marie heißt richtig Shaun Marie Krueger, ist mit Sam Luna Featherwolf, auf ihrem zweiten Album verstärkt durch einen dritten Gitarristen (Aaron Zepplin) und Schlagzeuger Zach Harmon. Den Baß spielt Produzent Aaron Duesterhoft, und aufgenommen wurde die Platte im Wohnzimmer des Kruegerschen Seehauses am Ufer des Lake Winnebago. Der Süden ist also ein imaginärer: Nördlich ist man bald in Kanada; andererseits landet, wer stur nach Osten fährt, irgendwann in Sizilien.

Die Musik, die aus Marie und Sam herausquillt wie Zuckernektar aus reifen Feigen, wird der Schubladenarchivar als „Country“ bezeichnen, möglicherweise mit Zusätzen wie „Alternative“ und „Rock“, und damit liegt er richtig und zugleich total daneben. Diese Songs haben und brauchen kein Genre, sie künden von Schmerz, Ekstase, Verzweiflung, Verlangen, Sehnsucht und Hoffnung, von Sühne, Wut und Untergang, wie das die besten Songs schon immer tun, seit sich im tiefsten imaginären Süden die ersten Gefühle in Klängen Gehör verschafften.

Am Boden bleiben: „In The Living Room“ trifft ins Herz, weil die Aufnahme so unmittelbar ist (inklusive einleitender Gespräche übers Regiemikro), weil kein Effekt, kein Kompressor, kein Modifikationsgerät die Spitzen, die vulkanischen Ausbrüche und tiefen Leeren zusammenbürstet auf Radioformat. Vor allem aber weil den Hörer Maries Stimme spätestens bei dem umwerfenden „I’ve Done Wrong“ so packt, daß man ihr nie wieder entkommt. Wer an dieser Stelle weiterhört, ohne den Song wieder und wieder und wieder laufen zu lassen, der hat eiserne Nerven (und wird mit annähernder Erlösung belohnt).

South of no north: Es waren Maria McKee und ihre Band Lone Justice mit ihrer ersten LP, die mich damals in den Mahlstrom schmissen, und seitdem (es ist sehr lange her) hat mich kein Album, keine Band aus (wenn’s halt sein soll) diesem Genre mehr so erwischt wie dieses. Allerdings muß man rückblickend hinzufügen: Die Zeiten waren andere, der Weg ans Licht führte zwangsläufig über Leute wie Linda Ronstadt, Jimmy Iovine, Steve van Zandt, Tom Petty, über den Großkonzern Geffen Records und Support-Tourneen mit Bands wie U2, was in der Summe dafür sorgte, daß Maria nie so strahlen konnte, wie sie sollte, und den verfahrenen Haufen schließlich hinwarf. Als ich sie später in ihrer neuen Heimat Dublin (wo es oft so warm ist wie im tiefen Süden, aber immer regnet) besuchte, konnte sie gar nicht aufhören, über das verbogene, verkorkste Mädel zu schimpfen und zu spotten, zu dem die Mühlen des Geschäfts sie zugerichtet hatten.

Featherwolf wird das nicht passieren. Und wenn doch: Dann sei es, wie es sei. Dieses Album, dieser Alpwunschtraum aus böser Schönheit, brennender Liebe und verzweifelter Weisheit wird uns bleiben, für alle Zeiten, als strahlender Stern im Nichts einer leeren Welt.

Die Kolumne „Frisch gepreßt“ erscheint alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

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