Frisch gepreßt #421: Stone The Crows & Maggie Bell „The Best Of“

Ich erinnere mich an goldene Zeiten. Goldene Zeiten, die es, wie alle goldenen Zeiten, nur einmal gab: weil das goldene Zeiten so an sich haben, daß man nicht merkt, wie sie sich langsam anschleichen, und dann merkt man nicht, wenn sie vorbei sind, weil … tja, das weiß man auch nicht genau. Der Glanz reibt sich ab, das Gold erweist sich als Vergoldung auf einem wackeligen Gerüst aus Weichholz, das gewiefte Konstrukteure sodann durch Stahl und Glas ersetzen. Das glänzt nicht mehr richtig, aber man kann es überdimensional ausbauen.
Ich erinnere mich an die goldenen Zeiten, als die Verstärker richtig laut
wurden, die Mikrophone richtig gut. Da war Schluß mit den Links-Rechts-Spielchen im Kopfhörer – links klimpert was, rechts klappert was, links singt was, dazwischen hört man Schnitte und Plopps, dann kommt rechts ein dünnes Sololein und so weiter. Nun rockte das. Nun stand man, nachdem sich die Nadel aufs schimmernde Vinyl gesetzt und die Rille gefunden hatte, in einem Raum, keinem großen, in dem die Kisten röhrten, die Röhren glühten, die Kessel paukten, die Saiten klirrten und die Bleche zischten, als wollten sie nie mehr aufhören. Mag sein, daß da der Schweiß von der Decke tropfte; es war ja noch nichts digital, und das Tempo, die Dynamik, die Wucht kamen nicht aus Rechenmaschinen, sondern aus Händen, Beinen, Bäuchen und Ärschen, aus Stöcken, Steckdosen und unter Strom stehenden Spulen, von denen keiner wußte, wie sie funktionierten.

Vor allem: erinnere ich mich an die goldene Zeit der Stimmen, die kaum Anfang, höchstens Mitte zwanzig waren, aber die Welt gesehen hatten, die tiefsten Täler und die höchsten Gipfel, die Milliarden Zigaretten verdaut und mit fragwürdigen Spirituosen nachgespült hatten. Rod Stewart, Frankie Miller. Und die perfekte Synthese der beiden: Maggie Bell, die Königin, die von allem,was Tina Turner, Joe Cocker, Roger Daltrey, John Lennon, Robert Plant, was weiß ich wer noch hatte, jeweils ein bißchen weniger hatte, das entscheidende bißchen weniger, das ihr Hände, Beine, Bauch und Arsch und eine unverwechselbare Eigenheit gab, die all die One-trick Ponies überragte.

Ich erinnere mich an goldene Zeiten, als man gewaltige Haufen von verkabelten Kisten auf Wiesen stellte und losspielte. Als man Gras nicht rauchte, um sich in eine dunkle Kellerkammer wattiger Bewußtlosigkeit zu ballern, sondern um zu schweben und zu fliegen. Als Bands funktionierten wie das Herz eines Organismus, der zufällig aus ein paar hundert oder tausend Leuten sich bildete, während die Sonne unterging.

Maggie Bell war die Verkörperung jener wenigen Jahre, als ein paar Typen in Jeans und Lumpen zu Rockgöttern wurden, an märchenhafte Reichtümer gerieten, während der Rest unserer Welt weiterrockte, ein Universum entfernt von Industrie, Gesellschaft, Normaloleben. Dort in der Wiese, in der es dunkel wurde, wenn die letzte Lampe über der improvisierten Palettenbühne durchgebrannt war, und von wo kein Shuttle einen in die Zivilisation zurückbrachte. Es wäre sowieso eine Entführung auf einen fremden Planeten gewesen.

Goldene Zeiten. Maggie Bell und ihre Band Stone The Crows sind immer noch deren Verkörperung. Den Gitarristen Les Harvey lernte Maggie Bell durch seinen älteren Bruder Alex Harvey kennen, den Bandnamen erfand Led-Zeppelin-Manager Peter Grant, damals der mächtigste Mensch des (unseres!) Universums. Les starb 1972 auf einer verregneten Bühne, als er ein nicht geerdetes Mikro anfaßte. Sein Nachfolger Jimmy McCullough ging 1974 zu Paul McCartneys Wings und starb 1979 mit 26 an einer Überdosis Morphium und Alkohol. Da waren die goldenen Zeiten vorbei.

Maggie Bell hat übrigens auf Rod Stewarts bestem Album mitgesungen: 1971 auf „Every Picture Tells A Story“. Und zwar im Titelsong. Jeder Mensch, der diesen Song nicht kennt, muß tot sein. Viele, die ihn kannten, sind tot, haben aber gelebt. Es gibt auch nicht mehr viele Menschen, die sich an Stone The Crows erinnern. Ganz ehrlich: ich auch nicht. Ich habe damals Bilder von ihnen gesehen, sie aber erst Jahre später gehört, ihre vier Alben aus den Jahren 1969 bis 1972, und war ihr spontan verfallen: dieser Vision goldener Zeiten, als man sich dermaßen frei, wild, offen, grenzenlos wähnen durfte, auch noch nach dem Ende der Band. Deren unfaßbar psychedelische „Ode To John Law“, Bells Version von Leo Sayers „In My Life“ … ach, es schien und scheint noch heute, als hätten die goldenen Zeiten nie enden müssen.

Taten sie aber, auch hier: Maggie versank im elektronisch kalten Treibsand der 80er, der ihr so fremd war wie diesen Zeiten ihre einzigartig warme, verzweifelt romantische Musik, das Genre, das im Kettensägenmassaker von AC/DC und Konsorten für immer verschwand. Das brachte sie nicht um: Selbst ihre Version von Alice Coopers herzzerreißender Feministenballade „Only Women Bleed“ hat noch Größe. Aber das bekam niemand mehr mit.

Lebt ihr noch? Und ihr anderen: wollt ihr mal leben? Greift zu und tut es.

Die Kolumne „Frisch gepreßt“ erscheint alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

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