Belästigungen 17/2018: Dumm und frech, das passt zusammen! (ein paar sommerliche Randbemerkungen)

Unbeholfenheit ist bisweilen nervig. Wenn man zum Beispiel an einem unerwarteten Feiertag während der Touristen-Hochsaison (zwischen März und November) am Münchner Hauptbahnhof bloß schnell Tabak kaufen möchte und, nachdem man dem vierundzwanzigsten Ratlosen am Fahrkartenautomaten vergeblich zu erläutern versucht hat, was Streifen, Ringe, Zonen, Räume usw. sind, nicht mehr weiß, daß man das wollte, und deswegen nicht mal rauchen kann, um einen Tobsuchts- oder Ohnmachtsanfall abzuwenden: Da fällt es einem nicht mehr so leicht, die Unfähigkeit, mit der Welt einigermaßen souverän umzugehen, putzig oder rührend zu finden. Selbst das lustige Kleinkind, das zum fünften Mal in dieselbe Pfütze fällt und zum fünften Mal einen Schreikrampf kriegt, weswegen die Mama zum fünften Mal infantiles Zeug brabbeln und so tun
muß, als wäre die Pfütze superböse und das Kind total unschuldig, ist nicht mehr ganz so nett.

Noch schlimmer ist die Mischung aus Unbeholfenheit, Dummheit und absoluter Überzeugung von der eigenen Unfehlbarkeit, die sich zum Beispiel darin äußert, daß der gewohnheitsmäßig auftrumpfende Mittelschichtfamilienchef der aus Italien zugereisten und deshalb des Deutschen nur mäßig mächtigen Aushilfskellnerin mit der Frage „Can we become a Pizza?“ eine möglicherweise anstehende Verwandlung ankündigt, die man nicht mal solchen Exemplaren zutraut (oder wünscht).

Auch jene durchreisenden Urlauber, die sich notorischerweise und fließbandartig an der Biergartenschenke einen Krug hinknallen lassen, der seit zwei Stunden in der Sonne steht und zu zwei Dritteln mit Bier befüllt ist, um im Brustton der Überzeugung zu verkünden, dabei handle es sich um „ein Mahs“ und somit um einen integralen Bestandteil der bayerischen Traditionsfolklore, zerstören über kurz oder lang nicht nur die sowieso klägliche Schankmoral, sondern auch das Nervenkostüm des dahinter anstehenden Einheimischen, der sich im Zuge solchen Handelns wegen seiner Bitte um Nachschank anschnauzen lassen muß, als hätte er despektierliche Bemerkungen über das Geschlechtsteil des Gorillas am Zapfhahn vorgebracht.

Noch schlimmer sind die Zeitgenossen, die wie unser vor einiger Zeit installierter (und demnächst wahrscheinlich auch noch gewählter) Ministerpräsident ihre Dummheit zumindest zum Teil nur vortäuschen, um sich dem Stammtischvieh anzubiedern, und im Gegenzug Unverschämtheit und Überheblichkeit dermaßen ins Unermeßliche aufpumpen, daß sie nur zu ertragen sind, wenn man sich ganz fest einredet, daß es sie sowieso bald zerreißt und dann endlich Vernunft, Bescheidenheit, Demut, Höflichkeit und eine Ruhe einkehren. Was in Bayern allerdings unwahrscheinlich und mindestens seit Hitler und Strauß auch in keinerlei historischen Aufzeichnungen nachzuweisen ist (obwohl es zumindest diese beiden zumindest teilweise tatsächlich zerrissen hat, allerdings aus anderen Gründen).

Es ist, als läge ein Fluch auf diesem Land, das eigentlich mal so schön und revolutionär und sympathisch arm war und den unermüdlichen Bemühungen seiner diversen Führer und Entscheidungsträger zum Trotz stellenweise immer noch ist: Sobald sich einer (oder eine, auch das kommt vor) als so dumm, frech und aufgeblasen erweist, daß er für wirklich gar nichts zu gebrauchen ist, rollt man ihm sofort eine Fernsehkamera vor die Sprechöffnung und läßt ihn lostrompeten. Was er sagt, ist egal. Hauptsache, es ist derart dumm, frech und aufgeblasen, daß in Berlin oder sonst wo jemand lachend den Kopf schüttelt und damit sofort einen massiven „Hoppala! Mia san mia!“-Mechanismus in Gang setzt, der wie gewohnt weiterläuft: Je lauter die Welt über die blaffende Dummheit und kriminelle Unverschämtheit der bayerischen Großblöker lacht und sich ereifert, desto mehr Prozent über fünfzig kriegt die CSU „jetzt erst recht“ bei der nächsten Landtagswahl. Daß ein großer Teil dieser Wähler selber das dumme Vieh ist, dem die Regierung und ihr Bandengeflecht hinterher das Fell über die Ohren ziehen, spielt dabei nicht die geringste Rolle. Im Gegenteil.

Interessant ist daran eigentlich nur eines: wie es der Partei der Superstreber und Megadimpfel immer wieder gelingt, kurz vor so einer sogenannten Wahl in sogenannten Umfragen plötzlich auf 45 oder 32 oder noch weniger Prozent „abzustürzen“ und damit noch den letzten Ochsen links hinten im letzten Stall links hinten neben Hintertupfing zu mobilisieren, weil der sonst am Ende doch keine Autobahnanbindung kriegt. Und schon hat die sogenannte CSU doch wieder ihre „komfortable“ Mehrheit, auf der sie sich ein paar Jahre ausruhen und in deren Schatten sie weitere Jahrzehnte ihre Machenschaften betreiben kann. Notfalls mit dem gelben Häuflein der unverdrossenen Wirtschaftsfaschisten, höchstenotfalls mit dem grünen Häuflein der Hirnlosen, die vor langer Zeit Stricknadeln und Weizenkeime gegen E-Bikes und Windräder und Vernunftansätze gegen „grünes Wachstum“ eingetauscht haben. Endnotfalls sogar mit dem rötlichen Häuflein der vollkommen Undefinierbaren, die neuerdings behaupten, Kinder seien eine „Investition“, und zwar „in die Zukunft“ und gleichzeitig mit Wortschlabber wie „Anstand“ um sich werfen. Oder halt dann doch mit den blauen Grußaugusten des Großkapitals, die sie ja vom Stammtisch sowieso kennen.

Es ist, wie gesagt, wie ein Fluch. Wie passend, daß mich grad ein Internet-Peer fragt, wieso Deutschland nicht Englisch als „Verkehrssprache“ einführt.
Ja, wieso eigentlich nicht? Dann fragt der Mittelschichtvati eben kurz, ähem, davor: „Can I become an orgasm? It would be an investment in the future of Bavaria!“

Die Kolumne „Belästigungen“ erscheint alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN und liegt in fünf Bänden als Buch vor.

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