Es ist halt heiß, gelt?
Das heißt (hi! hi!), daß eigentlich nichts mehr so geht, wie es eigentlich sollte. Vor allem kann man sich nach einem am Flußufer vergammelten, verpritschelten, verkifften und verbiertrunkenen Tag nicht mehr so genau an den ordnungsgemäßen Gebrauch der vielen Gegenstände und Geräte erinnern, mit denen wir Menschen seit Jahrhunderten, oder sagen wir: Jahrzehnten die Welt vollrümpeln. Da versucht man dann eine halbe Stunde lang, das Radl mit dem Taschenmesser aufzusperren, schmeißt die Zigarette in die Isar und zieht gierig am Feuerzeug, setzt sich statt der Sonnenbrille die Kondomschachtel auf die Nase und kippt pfeilgrad in den zum Glück wie immer leeren Müll-Gittercontaner, in den man die aus dem Wasser geklaubten
Flaschenscherben werfen wollte, die man aber statt dessen mit den Gurkenresten ins Handtuch eingewickelt hat … wie man’s auch macht, irgendwas macht man bei 38 Grad immer falsch.
So wie die zwei fröhlichen Mädels, die vor einiger Zeit bei derartigem Wetter auf der abschüssigsten Straße der Welt eine rollbare Mülltonne stehen sahen. Da schmeißt man normalerweise Abfall hinein; die beiden hatten aber keinen solchen dabei. Den hatte offenbar an jenem Tag überhaupt niemand dabei, und so setzten sich die Mädels in die leere Kiste, rollten begeistert die Straße hinab und fanden an einem geparkten Bus ein komitragisches Ende, das ihnen immerhin postum einen „Darwin-Award“ für ebenso herausragende wie tödliche Dummheit einbrachte.
Andere Hitzewirrtaten sind für den einzelnen Täter weniger folgenschwer, insgesamt aber doch eklatant. Autofahrer verwandeln sich an Tagen mit Temperaturen über 35 Grad zuverlässig in Neandertaler, verschmelzen in einem temporären Evolutionsriß mit der tonnenschweren SUV-Mordwaffe, mit der sie 365 Tage im Jahr ihren Einzelarsch von A via Stau nach B transportieren, zu einer Art mechanisch-elektronischem Nachfahren des Brontosaurus und wollen in rasender Amokfahrt durch zufällig etwas kurvenarme, aber spurenreiche Straßen egal was, jedenfalls: niederwalzen, aus dem Weg bolzen und am liebsten zu Hamburgerrohmasse schreddern. Radler sind für solche Wesen so was wie für uns Wespen. Nein, eher Fruchtfliegen, die stechen nicht, wenn man sie zerbazt.
Wenn es heiß wird, entwerfen Menschen besonders gern „Zukunftspläne“, schmeißen aus Abenteuerlaune Beziehungen in den Psychomüll, denen sie dann jahrzehntelang nachtrauern, schreiben Parteiprogramme, destillieren aus kochenden Köpfen Slogans heraus wie „Stell dir vor, es gibt Wohnraum und keiner zockt ab!“ (die kühlköpfige Variante könnte lauten: „Stell dir vor, es ist SPD und keiner wählt den Haufen, unter dessen Regentschaft zehn- bis hunderttausende Münchner Wohnungen in Büros, Kanzleien und Agenturen umgewandelt wurden, deren ehemalige Bewohner nun in Betonkisten hausen und für ein 20-Quadratmeter-Loch pro Jahr Erpressungssummen abdrücken, für die man früher ein Haus mit Garten bekommen hätte (wenn sie es schaffen, ein Jahr dort geduldet zu werden)!“)
Was man dann ebenfalls gerne tut, ist: Millionen für „Flußbäder“ aus dem Fenster schmeißen mit der irrwitzigen Behauptung, man dürfe oder könne in der Isar bislang gar nicht baden. Belämmert zuschauen, wie ein paar „Fun-Event“-Trottel mit einem solchen Unfug zu „Promis“ und auf lange Sicht reich, fett und noch blöder werden, während tausende Ein-Euro-Sklaven und gemeinsinnige Normalbader die Scherben ihrer „Fun-Events“ aus dem Flußbett klauben und irgendein manischer Straßenprediger den Tauben und Tauben von Gentrifizierung erzählt, ohne daß ihm einer zuhört.
Man erfindet faschistische Wirtschaftssysteme, wird Mitglied in hoffnungslosen Fußballvereinen. Man „plant“ für die „Fahrradstadt“ München Radwege, die zum Beispiel auf der Paul-Heyse-Straße direkt in den Schlund eines der erwähnten Terrormordmonster führen. Zum Glück gibt‘s in der Umgebung genug Kliniken und Polizeidienststellen, wo man die überlebenden Radler zusammennähen und auf Alkoholwerte prüfen kann, damit die Boulevardpresse weiterhin den Auto-Massenmord totschweigen kann, indem sie den „Radl-Rambo“ anprangert. Der wiederum bemüht sich nach Kräften, sich dem Auto-Rambo anzugleichen, und hetzt die Radwege entlang wie ein entfesselter erweiterter Selbstmörder. Weil er wahrscheinlich meint, irgendwo anders ist es nicht so heiß. Stimmt, aber so weit kommt er mit dem schlimmsten Hi-Tech-Monster-Bike nicht schnell genug.
Und wo wir schon dabei sind: Die ganz Überhitzten in den Großraum-Planungsabteilungen „planen“ dann Radwege wie den zwischen Muffathalle und Maximiliansbrücke mit annähernd hochalpinen Steigungen, während drunten der Fußgängerweg ohne den geringsten Buckel und trotz Beton bemerkenswert idyllisch verläuft, aber von kaum jemandem benutzt wird. Weil das zu lang dauert!
Aber warum ist es überhaupt so heiß? Die 77 Fantastilliarden Autos können‘s nicht sein, die sind schließlich ein Wirtschaftsfaktor und dienen unter anderem dazu, Kühlschränke zu transportieren, ohne die es noch heißer wäre. Neulich meinte jemand (an einem Tag mit mindestens 37 Grad), er habe Photos gesehen, auf denen im Sommer 1944 „leicht bekleidete“ Menschen in Berliner Cafés sitzen, es habe also wohl der Krieg das Klima erwärmt. Hm. Führen Deutschland und seine Verbündeten zur Zeit eigentlich weniger Kriege als 1944? Vielleicht liegt da der kochende Neandertaler begraben?
Oder sind am Ende die glühenden Hirne der Essayisten und Kolumnisten schuld, die genau so leben wie eingangs beschrieben und diesem Wahnsinn irgendwie was Sinnvolles, Lesbares, Erheiterndes oder wenigstens Unterhaltendes abfieseln müssen? Denken, liebe Tastaturkollegen, verbraucht ein gutes Drittel unserer Kalorien! Das ist mit Sicherheit beim SUV-Neandertaler, beim „Fun-Event“-Trottel, beim Radl-Rambo und beim Stadtgestalter anders, und deswegen sollten auch wir am besten unser Hirn aus- und erst wieder einschalten, wenn das Thermometer die 35 von unten sieht.