Belästigungen 15/2018: Der neue Pazifismus: Tunnelbuddeln und Brezensalzen für den Weltfrieden!

Um Dinge zu veranschaulichen, braucht man manchmal Vergleiche aus dem lebensweltlichen Alltag. Was zum Beispiel der Mensch als ganzes insgesamt so ist – wer sollte das begreifen, wenn man es ihm nicht mit einem trefflichen Vergleichsbild vor Augen führt?

Ich würde heute mal sagen: Der Mensch ist das Brezensalz der Erde. Es gibt ungeheure Massen davon, die unter ungeheurem Aufwand hergestellt werden und nur einen Zweck verfolgen und zugleich verfehlen: Sie sollen dem, der die Breze genießt, den Genuß versalzen und ihn dazu bringen, zu jedem einzelnen Exemplar des Gebäcks mindestens vier Maß Bier zu konsumieren, damit er sich nicht in ein Mittelding zwischen getrockneter Tomate und Salzhering verwandelt.Das haut aber (unwissende Touristen ausgenommen) selten hin, weil der Brezenesser weiß, wie er die Selbstversalzung verhindern kann: Man rubbelt und kratzt einfach so lange an dem braunen Teigling herum, bis das weiße Gift weg ist. Das bröselt dann auf dem Boden herum, verbindet sich seiner wasserfreundlichen Natur gemäß mit dem Erdreich und wird eines fernen Tages dafür sorgen, daß München und sein Umland sich in Salt Lake City umbenennen dürften. Aber das ist ein anderes Thema.

Der Beruf des Brezensalzers ist grundsätzlich ein ehrenwerter. Im hypermodernen Sinne ist er das sogar noch mehr als sowieso, schließlich tut er nicht nur etwas, sorgt dafür, daß etwas vorangeht, die Umwelt verändert, das Wachstum dynamisiert und der Bierausstoß bayerischer Brauereien angekurbelt wird: Zusätzlich schafft er mit seiner Arbeit weitere Arbeit – die Einrichtung eines Bachelor- und Master-Studiengangs „Brezenentsalzung“ an der Münchner Universität wird sicherlich längst diskutiert, entsprechende Praktikumsstellen werden die „Arbeitsagenturen“ vermutlich demnächst zwangsanbieten.

Und das ist ein großer Segen, schließlich wissen wir seit der industriellen Revolution: Ohne Arbeit wird der Mensch vom Brezensalz der Erde zur Pest seiner selbst – er lungert herum, ergeht sich in verantwortungsloser Muße, gibt sich Freuden und Vergnügungen hin, die über Brezen- und Bierverzehr weit hinausgehen (selbigen aber auch umfassen), beschäftigt sich mit Sinnsucherei, Kunst und Philosophie und wird am Ende noch mindestens so weise, wie das ein großer Teil der anderen Tiere längst ist (die Ameise mal ausgeklammert, beim Weps gibt es Verdachtsmomente).

Oder aber er widmet sich seiner zweitprominentesten Beschäftigung, deren Folgen denen der Arbeit nicht unähnlich sind, kurzfristig aber noch viel katastrophaler ausfallen: dem Krieg. Der allerdings ist in der Bevölkerung noch unbeliebter als die Schufterei, drum muß die Propaganda entsprechend flammender wirken. Und so sehen wir uns momentan mal wieder einem Grölchor entfesselt schäumender „West“-„Medien“ ausgesetzt, die angesichts des eigentlich erfreulich harmonischen Zusammensitzens zweier Großmachtchefs (nennen wir sie P. und T.) in Helsinki überhaupt nicht mehr an sich halten können.

„Bizarr“, „autokratisch“, „kein Wort der Kritik“, „Menschenrechte“, „Annexion der Krim“, „Wahleinmischung“, „Giftstoffeinsatz in Salisbury“, „Giftgasmörder“, „Flugzeugabschuß“, „Hackerattacken“, „Trollarmeen“, „Einflußzonen“, „Kumpanei“, „Deals“, „Erpressung“, „Völkerrecht“, „Verschwörungstheorien“, „Katastrophe“, „Ungeheuerlichkeiten“, „Horror-Show“, „zum Gruseln“, zusammenfassend: „Warum sich die Europäer wieder fürchten müssen“ – das übliche Arsenal der Kampfbegriffe hagelte nur so heraus aus den transatlantischen Hetzrohren.

Da ist es nur logisch, daß sämtlichen Defiziten, Schuldenkrisen und milliardenfachem Armutselend zum Trotz die Hauptbemühung der NATO-Staaten darauf zielt, noch mehr noch wüstere Waffen anzuschaffen, mit Dauermanövern und Probekriegen die Welt zu terrorisieren und noch den friedlichsten Faulenzerhippie, der seine Tage fröhlich am Isarstrand verdöst, auf Kriegsdisziplin zu trimmen.

Das hatten wir so ähnlich schon mehrmals, und damit meine ich heute mal nicht die naheliegende Zeit vor dem zweiten Weltkrieg, als Presse und Rundfunk mit bombigem Erfolg der gleichen Tätigkeit nachgingen und die Militärmaschinisten nicht mal davor zurückschreckten, den Englischen Garten zu Kriegszwecken mit einer Straße zu durchschneiden, aus der später eines der brutalsten Schlachtfelder des Autokriegs wurde – beschönigend „Isarring“ getauft.

Nein, ich meine die Zeit um 1789, als das bayerische Heer nach Ansicht von Fachleuten in desolatem Zustand war und man aber offenbar wenig Neigung verspürte, die Soldaten zum Massakrieren loszuschicken, damit sie nicht in der Gegend herumgammelten, den Bauern ihr Vieh und den Brauern ihr Bier wegfraßen bzw. -soffen.

Statt dessen kam ein scheint‘s nicht unkluger bayerischer Herrscher (der in Mannheim residierte, was seinem Geisteszustand aber offenbar nicht allzu abträglich war) auf die Idee, das verwilderte Marschiervolk geistig und körperlich auf Vordermann zu bringen, indem er sie mit Hacke, Schaufel und Spaten in die verstruppten Auen vor den nordöstlichen Stadttoren schickte und eben jenen Englischen Garten anlegen ließ. Der, 1792 endlich eröffnet, wurde ein großer Erfolg: „Alle Stände müssen sich also da versammlen und in langen bunten Reihen bewegen und die frohe Jugend unter ihnen hüpfen“, berichtete der königliche Hofgärtner.

Dem Krieg entging das Kleinparadies nicht gänzlich: Neben dem Embryo des Isarrings, das uns die üble Schlachterei hinterließ, brannte auch der Chinesische Turm 1944 nieder, wurde aber in einer Art Wiederholung der kurfürstlichen Bemühungen von der Münchner Bürgerschaft mit Geld und Arbeit, die ansonsten in die Kassen und Mühlen des „Kalten Kriegs“ geflossen wären, wiederaufgebaut, um keinem anderen Zweck als der radikalpazifistischen Belustigung durch Musik und Bier zu dienen.

Hierin schlummert Potential: Wie wäre es denn, den Kriegsfanatikern in den Redaktionsfabriken Mikrophone, Tastaturen und Druckmaschinen wegzunehmen, sie statt dessen mit Hacke, Schaufel und Spaten auszustatten und loszuschicken, damit sie einen Tunnel graben, in dem der vermaledeite Isarring, wenn wir ihn schon nicht loswerden, fürderhin wenigstens unterirdisch toben mag?

Es wäre ein Segen, für München und den Rest der Welt. Und wenn dann in einigen Jahren auch der Autokrieg unweigerlich zu Ende geht und niemand mehr die ganzen Tunnels braucht (es sei denn zum Bierkühlen), dann finden wir, nachdem sie das Getunnel wieder eingerissen oder in Schwammerlplantagen verwandelt haben, sicherlich eine neue sinnvolle Betätigung, um die Burschen vor einem Rückfall in die Kriegshetzerei zu bewahren. Zum Beispiel als Brezensalzer oder notfalls -entsalzer.

Die Kolumne „Belästigungen“ erscheint alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

Kommentar verfassen