Frisch gepreßt #409: Olli Schulz „Scheiß Leben, gut erzählt“

Wie der Ratzingerplatz Mitte der 70er ausgeschaut hat und wie romantisch das war: Erzähl das doch dem Olli, der macht ein Lied draus. Menschen haben seltsame Gewohnheiten, erleben seltsame Sachen und tun komische Dinge, von denen sie manchmal selber nicht so genau wissen, warum sie sie eigentlich tun. Solange niemand daherkommt und Zusammenhänge aufzeigt. Also Olli Schulz. „Das Essen bei meiner Oma war immer etwas sonderbar. Das wurde mir leider viel zu spät erst klar“, singt der dann zum Beispiel. Und stellt fest, daß nicht nur Omis Erbsensuppe „schmeckt, wie Pisse riecht“, sondern noch ein paar Sachen. „Nicht alles, was gut aussieht, ist in Wirklichkeit so toll. Bei manchen Dingen fragt man sich, was das eigentlich soll. Ich mein, wenn man jemanden gern hat, vielleicht sogar liebt, dann ist es scheißegal …“ usw., wissen wir, jetzt, weil die Platte da, nach knapp zwei Minuten Song Nummer zehn, aus ist und von vorn anfängt.

Sagt mir einen, der das so gut kann: Die Welt der Wohnungen, deren Wände mit Bildertapeten in dezenten Braungelbtönen tapeziert sind, deren Preßspanmöblierung zierliche Kreismuster von überfüllten Darjeeling-Teetassen trägt, deren Linoleumböden sich am Rand, wo die Furnierleisten seit Jahren an ihren Messingkopfnägeln zerren, wellen und bröseln, deren Beschallung aus dezenten Regionalnachrichten und Müslireklame die Geranien auf dem Fensterbrett gilbt, wo unter der Spüle eine zerknautschte Tube mettwurstbraune Schuhcreme darauf wartet, daß mal wieder jemand bei Romika Stiefel für die Übergangszeit kauft … diese Welt, in der sich alles falsch reimt („Wohnung“ auf „Stroh-Rum“ und so) so zu erzählen, daß man sich mit einem Rühren im Oberbauch und einer kleinen Träne im Links-innen-Augenwinkel wünscht, noch mal den Tag zu erleben, an dem man so früh ins Bett mußte, daß man nur noch durchs gekippte Plastikquadratfenster mitbekam, wie Uli Hoeneß den letzten Elfmeter gegen die CSSR in den Nachthimmel bombte: Das kann eigentlich nur Olli Schulz. „Mein abgefucktes Leben läßt sich nicht mehr schönreden“, sagt der, und da rührt es schon im Oberbauch.

Klar, das geht nicht immer gut, wird auch mal Klamauk und Depperlschmarrn, wenn’s zum Beispiel um ein „Sportboot“ geht. Aber gute Lieder sind immer wie Zufallstreffer auf der Spickerscheibe, und so oft trifft halt sonst keiner zufällig: „Schlechter Atem, Hautausschlag, heute wird kein schöner Tag!“ Das ist dieselbe Welt, in der irgendwann mal Männer in blaugrauen, speckigen Overalls „so gern Dave Dudley hör’n“ wollten, durch die jetzt aber zum Glück andere Lieder schallen, eben diese.

Seien wir nicht unfair, stellen wir kein Einzelpodest aus Resopal in eine Welt, in die ja auch Gisbert zu Knyphausen, Rio Reiser, Reinhard Mey, Nils Koppruch, die Steph/fans Remmler, Zinner, Noelle, Christoph Theussl und noch ein paar andere vollkommen disparate Gestalten irgendwie ihre Spicker hineingeworfen haben und teils noch werfen. Aber was wäre das für eine Welt, wenn sie das nicht täten und nie getan hätten? Leckt an der Tapete und stellt es euch vor.

„Schmeiß alles rein, schmeiß alle raus“: Das heißt auch, daß Olli Schulz nicht immer mehr Olli Schulz sein mag. Daß er sich mal bei Neckermann eine Schachtel Beats bestellt und sich so tierisch darüber freut, wie die bumsen und zickeln, daß ihm gar nicht auffällt, daß die Melodie derweil mal strullen gegangen und nicht mehr wiedergekommen ist. Daß! Daß! Daß! Wäscht heute noch jemand mit Omo? Verlangt jemand ernsthaft, daß einer, der mal diese eine Platte gemacht hat, diese eine Platte jedes Jahr wieder macht, weil sonst der Bernd aus Sprockhövel Filzer und Block nimmt und schreibt, daß er das nicht mehr so dufte findet wie damals? Wie ironisch (und klar), daß sich ausgerechnet die Hardcore-Fans über jeden Versuch, mal was anderes zu machen, beschweren, und zwar samt und sonders mit einer Paraphrase von „Hardcore-Fans finden das sicher toll, aber ich …“!

Doch, Olli: ist ein schönes Album, auch dieses. Mach so weiter, mach was anderes, mach dies und das, bleib einfach du. In einer Welt, die nicht mehr so recht wissen mag, wie der Ratzingerplatz Mitte der 70er ausgeschaut hat und wie romantisch das war, kann, darf und muß das sein.

Die Kolumne „Frisch gepreßt“ erscheint alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

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