Frisch gepreßt #404: Black Sabbath „The End – 4 February 2017 Birmingham“

Einem alten Freund war es mal vergönnt, Ozzy Osbourne gegenüberzusitzen. Das ist gut zwanzig Jahre her und hinterließ einen verheerenden Eindruck: Der Mann, erzählte der Freund, sei am Ende, der mache es nicht mehr lang. Den Tränen nahe beschrieb er eine fahle, gelähmte Halbtotenmaske, Hände, die zitterten wie Espenlaub im Herbststurm, eine kaum verständliche Grabesstimme, die mit minutenlanger Verzögerung Antworten auf nicht gestellte Fragen stammelte, eine körperliche Gesamtverfassung, die das Herbeirufen eines Sanitäters überflüssig scheinen ließ.

Untote leben bisweilen lange. John Michael Osbourne, vor seinem Berufsantritt als Pate des Heavy Metal u. a. als Hilfsarbeiter im Schlachthof, Hupenstimmer in einer Autofabrik, Baugehilfe, Klempner- und Mechanikerlehrling tätig, gab sich stets große Mühe, diese Regel zu widerlegen. Er saß sechs Wochen im Knast, weil er als Einbrecher nicht sonderlich begabt war (einen geklauten Fernseher ließ er auf der Flucht fallen, und die Klamotten, die er in einem Pub verscherbeln wollte, erwiesen sich als Babykleidung) und sein Vater sich aus pädagogischen Gründen weigerte, die Geldstrafe zu berappen. Zu diesen Mißerfolgen trug sicherlich ein schon damals notorischer Hang zu bewußtseinsschmälernden Substanzen bei.

Mit Black Sabbath und einer Serie von fünf Platinalben in Folge gerieten die Exzesse zwangsläufig vollkommen außer Kontrolle. Die Band pumpte sich derart mit Drogen voll, daß sich Studioaufnahmen wegen der kurzen Nüchternheitsfenster über Monate hinzogen und kaum mehr abwarfen als Plunder und üble Scherze – Schlagzeuger Bill Ward landete zweimal im Krankenhaus, weil ihn seine Kollegen angezündet und mit Goldfarbe lackiert hatten (was einen Schlaganfall auslöste). Bei Ozzy waren die Gründe für diverse Einlieferungen gewöhnlicherer Natur. 1979, nachdem ihn Gitarrist Tony Iommi mehrmals bewußtlos geschlagen hatte, um ihn zur Raison zu bringen, flog er raus. 1982 wurde er in Texas verhaftet, weil er in Frauenkleidern ein Kriegerdenkmal anpinkelte. Ein schlechter Mensch kann so jemand nicht sein. Nächsten Sonntag wird er übrigens 69.

Wie es mit ihm weiterging, wissen wir aus Skandalpresse, Reality-TV und (Auto-)Biographien. Immer wieder ging es auch mit Black Sabbath weiter, die konstant nur aus Iommi bestanden, sich derweil mit erstaunlichem Talent bemühten, keinen Fettnapf auszulassen, und für ihre zweifelhaften bis lachhaften Eskapaden ein erstaunliches Sammelsurium an prominenten Gästen und Fehlbesetzungen gewinnen konnten: Ian Gillan und Glenn Hughes (Deep Purple), Rick Wakeman (Yes) und sein Sohn Adam, Cozy Powell und Ronnie James Dio (Rainbow), Dave Walker (Fleetwood Mac), Bev Bevan (ELO), Eric Singer (Lita Ford, später Kiss), Terry Chimes (The Clash), Bob Daisley (Mungo Jerry), Jo Burt (Tom Robinson, Freddie Mercury), Laurence Cottle (Alan Parsons Project), Mike Bordin (Faith No More), Tommy Clufetos (Alice Cooper), Jezz Woodroffe (Belle Stars), Brian May (Queen), Brad Wilk (Rage Against The Machine) und Rob Halford (Judas Priest) waren nur ein paar der vielen, die irgendwann mal Gehaltsschecks für eine Sabbath-Mitgliedschaft erhielten (oder auch nicht).

Ich bin Ozzy Osbourne übrigens auch mal begegnet – allerdings nur in gedruckter Form, auf Cover und Poster des Magazins, das mich als acht/neunjährigen T.Rex- und Alice-Cooper-Fan mit Informationen aus der geheimnisvollen Welt der Popmusik versorgte. Vor Black Sabbath hatte ich, zugegeben, ein bisserl Angst, auch wenn Tony Iommi im Interview sagte: „Wir haben schon immer Kreuze getragen, uns aber nie mit dieser schwarzen Zauberkunst beschäftigt.“

Damals verkündete Iommi außerdem einen „Stop mit Tourneen“ (gemeint war: die nächsten zwei Monate) und: „Natürlich werden wir weiterhin zusammenbleiben.“ Gemeint war: die nächsten paar Jahre vielleicht. Es wurden 49 Jahre, wirre, wilde, große und vergessene, in denen es niemandem gelang, das Original verzichtbar und „diese schwarze Zauberkunst“ nachzumachen.

Und deswegen – und auch wenn sich ein paar sympathische Patzer nicht vermeiden ließen – ist es schon rührend und schön, Black Sabbath bei ihrem allerletzten Auftritt zuzuhören, in der Heimat Birmingham, in einem Meer von Tränen, vergossen von tausenden Menschen, die „damals“ noch nicht geboren waren und bis von Honduras und Australien anreisten. Es ist rührend und schön zu hören, wie gut sich die atmosphärischen, winterlich düsteren, aber keineswegs im modernen Sinn heavy-metallischen Songs (von denen nur zwei nach 1973 entstanden) gehalten haben.

Und es ist schön, daß die Band ein Jahr „zu früh“ ohne großen Halbjahrhundert-Jubiläumszinnober abtritt, würdig und bescheiden zugleich. (Wenn sie das denn wirklich tut.)

Die Kolumne „Frisch gepreßt“ erscheint alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

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