Belästigungen 14/2017: So! So! So! (Achtung: Blödbla-Attacke 4.0!)

Der Deutsche hat zu Büchern ein eigentümliches Verhältnis, das sich in ein paar Faustregeln zusammenfassen läßt: Mit acht kriegt man sie geschenkt, mit achtzehn klaut man sie, mit achtundzwanzig kauft man sie, mit achtunddreißig schreibt man sie, mit achtundvierzig verschenkt man sie, mit achtundfünfzig schmeißt man sie weg, mit achtundsechzig kann man sie nicht mehr richtig lesen, mit achtundsiebzig läßt man sie sich vorlesen, mit achtundachtzig kann man sich an kein gelesenes und vorgelesenes Wort mehr erinnern.

So kommt es, daß deutsche Verlage Menschen, die eigentlich ihrem Alter entsprechend klug, intelligent und erfahren sind (oder sein könnten), Bücher für zehn Jahre jüngere Menschen schreiben lassen (oder vielmehr für das, was man sich unter zehn Jahre jüngeren Menschen vorstellt), bei denen man nach dreißig Seiten weiß, worauf die Sache hinausläuft, und spätestens nach hundert Seiten die ersten Symptome einer Art Sprachlähmung erleidet.
Diese Bücher stehen dann, ohne fertiggelesen worden zu sein, zwanzig Jahre im Regal. Dann werden sie an zwanzig Jahre jüngere verschenkt, und der Kreislauf beginnt von vorn. Und immer mal wieder fragt ein verhärmter Kulturpessimist, wieso die jungen Leute eigentlich so verblödet sind, und wir fragen zurück: Tja, was gebt ihr den Leuten für Bücher zu lesen? und war das bei Ihnen damals anders? Und er tönt: Selbstverständlich! Schließlich gab es damals noch eine echte Kultur, Suhrkamp und so! Ja ja, sagen wir, freilich.

Was er meint ist zum Beispiel folgendes. Neulich fragte mich jemand, ob ich als studierter Sprachwissenschaftler erklären könne, wieso die jungen Leute heute immer so komisch reden. Nämlich so: „Meine Mama so … und ich so … und er so …“

Ganz einfach, sagte ich: Schau und hör dir mal die Medien an, die plappern genauso! Weil er das nicht glauben wollte, schaltete ich den Radio an, und es ertönte der übliche repetitiv-wirre Bullshitschwall, wie gewohnt punktiert durch Einschübe: „… so Schäuble … so Merkel … so Dingsbums“. Die Medien, erläuterte ich, ersetzen seit Jahren flächendeckend „sagte“ durch „so“, was im Teilzitateinzelfall vertretbar, insgesamt aber falsch ist, sich jedoch supi erhaben und amtlich anhört und eine Hintertür angelehnt läßt für den Einwand, „so“ habe man das gar nicht „gesagt“. Und „die jungen Leute“ (die meist alles andere als jung sind) plappern es nach, weil man ihnen beigebracht hat, daß das, was die Medien sagen, richtig ist.

Apropos. Das gilt selbstverständlich nicht nur für die Grammatik, sondern auch für das, was sie angeblich transportieren soll, also „Sinn“ oder so und vor allem „Innovation“. Vor vielen Jahren, als „das Web“ langsam langweilig wurde, weil es nicht mehr richtig innovativ war, erfand jemand den Slogan „Web 2.0“, und alle blubberten den Schmarrn nach und hängten an jeden denkbaren Begriff von Affenstall bis Zirbeldrüse ein „2.0“ dran. Bis ihnen doch noch jemand sagte, daß diese Art der Innovationsinnovierung spätestens seit Windows 3.1 ein stinkalter Hut war.

Die Dümmsten freilich bleiben an so was hängen, weil sie den Blödbla-Automaten zwischen Nase und Kinn mangels (Verbindung zum) Denk- und Einsichtsapparat nicht mehr stoppen können, wenn er mal läuft. Drum plakatiert derzeit die bayerische Einheitsstaatspartei den gesamten Münchner Südosten mit der Parole „Wirtschaft 4.0 – Deutschland fit für die Zukunft“ voll. Wir Armen, die täglich daran vorbeiradeln müssen, fragen uns verzweifelnd, was wohl als nächstes kommt: „Wirtschaft NT“? „Wirtschaft 10“, „Wirtschaft Sierra“?

Leider nein. Als nächstes kommt, einen Meter weiter, auf zungenfärberlutscherbuntem Hintergrund einer von jenen „Demokraten“ daher, für die Freiheit mit Geld und Ellbogen und sonst mit gar nichts zu tun hat. Dieser Bursche, dem man offenbar das Hirn durch eine Amphetamindrüse ersetzt hat, weshalb er aus dem manischen Ärmelhochkrempeln gar nicht mehr herauskommt und nicht mal davor zurückschreckt, sich neben dem schlimmsten Sozialversager der letzten vierzig Jahre abbilden zu lassen, – dieser Bursche stellt auf seinem Plakat die Behauptung auf: „Wie wir in Zukunft arbeiten wollen“. Als wollte irgend jemand auf diesem Planeten wirklich arbeiten und nicht lieber sein bißchen Lebenszeit genießen.

(Einschub: Das will immerhin die Linke, deren Plakate für ein „Sommerfest“ werben, das allerdings „Freitag bis Sonntag“ stattfand, und zwar von „23. bis 26. Juni“. Und dann wundern sich die Leute, wenn es wieder mal heißt, Linke könnten nicht rechnen. Die können ja nicht mal einen Kalender lesen!)

Damit nicht genug. Als nächstes ruft der neue Glubschguppy der Sozialverräter, „ohne soziale Dimension“ habe Europa „keine Zukunft“. Und da platzt uns der Kragen, und wir rufen zurück: „Klar! Und ohne fünfte Dimension hat Perry Rhodan im Hyperraum auch keine Zukunft!“ Weil es eine Zukunft nur bei Perry Rhodan (und Kollegen) gibt! Weil die Zukunft per definitionem das ist, was es nicht gibt und nie geben wird, ganz egal was Politiker und Medien darüber quatschen. Die tun das nämlich nur, um davon abzulenken, daß die Gegenwart in vielerlei Hinsicht höchst unerfreulich ist, sie aber nicht die geringste Absicht haben, daran was zu ändern. Das kann man nicht, weil es nun mal so ist, wie es ist. „Gestalten“ (brr!) kann man nur die Zukunft! Und dazu braucht es Parolen! „Schulz greit Merkel scharf an“, trompeten die Medien, und dann rennt der, der den Blödsinn verzapft hat, hinaus und stellt fest: Es ist wahr! Weil es in der Zeitung steht, in die ich es selbst hineingeschrieben habe! Und Schulz und Merkel glauben es aus demselben Grund ebenfalls. Ein perfekter „Echoraum“, möchte man meinen.

Drum ähnelt die Gegenwart dem Fußgänger- und Radlertunnel in Berg am Laim: eine dunkle, kaputte Röhre, erfüllt von Gestank und dem infernalischen Lärmterror der Autolawine nebenan. Drinnen plärren die Medien: „… so Schulz … so Merkel … so Özdemir“, und das Menschenecho hallt dagegen: „Merkel so … und Schulz so … und Özdemir so …“ Und irgendwo am Ende diffuses Licht, das die Zukunft sein soll. Leider sieht die wiederum so aus wie eines der diversen Olympiagelände, mit denen der Planet übersät ist: ein paar Wochen lang hübsch futuristisch, ein paar Wochen später eine Wüste aus Schutt, Ruin und Untergang. Immerhin: das Hoffen ist dem Menschen offenbar nicht abzugewöhnen. Sonst wäre er wohl längst verzweifelt.

Oder zufrieden. Die „jungen Leute“ sind nämlich gar nicht so blöd, wie man im Echoraum der Polit-Zukünfte meint. Zum Beispiel sitzt an meinem Tisch ein Mädchen, das in ein sehr altes Buch vertieft ist (vermutlich gekauft), ein Buch aus einer Zeit, als deutsche Verlage noch anderes im Sinn hatten, und auf meine Frage, ob sie notfalls auch ohne soziale Dimension fit für die Zukunft sei, herzlich lachend antwortet: „Ach was, den ganzen Schmarrn gibt es doch gar nicht.“

Die Kolumne „Belästigungen“ erscheint alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

Kommentar verfassen