Kein Tag ohne Schreckensmeldung von Le Frisur im Weißen Haus. Neuerdings, so hört man, ist die Wissenschaft in Gefahr. Und zwar nicht weil weltweit die Mächtigen seit langer Zeit und mit Erfolg alles dafür tun, aus Universitäten und Forschungsinstituten marktkonforme Modulfabriken zu machen, die oben innovative (meist: Militär-)Technik und unten effektiv gedrillte Billigarbeitssklaven ausspucken.
Nein, das stört ja niemanden, schließlich ist es gut für das Wachstum und sowieso alternativlos wegen so Sachzwängen, „Fachkräftemangel“ oder „Bildungsoffensive“ oder wie die Quatschparole halt grad lautet, was soll’s. Aber jetzt kommt der Donald daher und „schätzt“, so heißt es, statt Wissenschaftlern „Ideologen“, die zum Beispiel nicht an die Evolution und die Erderwärmung glauben und überall „Zweifel streuen“ möchten, damit am Ende niemand mehr an die Wissenschaft glaubt. „Regierungen“, zitiert die „Süddeutsche Zeitung“ mit belustigter Empörung einen dieser „wahren Feinde der Wissenschaft“, „treffen schlechte Entscheidungen. Märkte führen zu guten Entscheidungen.“ (Daß dieser gemeingefährliche Stuß in demselben Blatt seit über zwanzig Jahren jeden Tag drinsteht, sei hier nur deshalb erwähnt, weil es in der SZ nicht erwähnt wird.)
Das ist ja ganz was Neues: Daß in den USA Millionen Menschen herumlaufen, die überzeugt sind, die Regierung sei böse und der Markt gut und die Welt sei in exakt sieben Tagen von einem allmächtigen Gott erschaffen worden, daß deren mächtige Prediger von Armageddon schwärmen und mit ihren Fernsehpredigten Milliarden scheffeln, daß dort selbst die höchsten Politiker den biblischen Endkampf zwischen Gut und Böse herbeibeten und noch der kleinste Ausgebeutete das kapitalistische Credo bis ins Mark verinnerlicht hat und in der Freizeit seinem Auto, seiner Knarre und den nationalen Atomraketen huldigt, als wären sie die Inkarnation des Messias – das hätten wir ja nie gedacht, und das hätte es ja nie gegeben unter der aufgeklärten Herrschaft eines Ronald Reagan, Bill Clinton, Bush I. oder II. und Barack Obama (der übrigens die Erderwärmung in „Klimawandel“ umtaufen ließ, weil das harmloser klingt).
Vor allem hätte man das nie gedacht in einem Europa, das demselben allmächtigen Wolkenheini, demselben alternativlosen Wirtschaftsfaschismus und dem gleichen heiligen Automobil huldigt, aber halt noch an Evolution und Klimawandel glaubt, solange sie nicht dem Wachstum in die Quere kommen. Und der Wissenschaft, die zum Beispiel sagt, daß Passivrauchen Krebs erzeugt, Asbest und Dieselgiftgas aber nicht.
Darüber wollen wir gar nicht streiten, auch nicht darüber, daß Wissenschaft in erster Linie darin besteht, Zweifel an religiösen und anderen Glaubenssystemen zu streuen und diesen Zweifeln denkend und forschend nachzugehen. Daß der Urknall ein ebenso putziges symbolisch-allegorisches Szenario der Weltentstehung ist wie die biblische Mär, wissen wir sowieso, und daß uns die Evolutionslehre zwar vieles nicht erklären kann, aber anderseits den Irrglauben an den Fortschritt ins Hirn geimpft hat, soll uns auch nicht so arg interessieren.
Die interessante Frage ist doch, weshalb das alles jetzt plötzlich so wichtig ist. Wieso ausgerechnet die Marktradikalinskis jetzt plötzlich ihre geliebte „Zukunft“ bedroht sehen, weil ein US-Präsident jemanden „schätzt“, der in einer Holzhütte in Nevada oder sonstwo sitzt und irgendwas anzweifelt. Daß der Mensch in den letzten zweihundert (und insbesondere in den letzten fünfzig) Jahren das irdische Klima so ramponiert und ruiniert hat, daß er selbst in absehbarer Zeit den Planeten nicht mehr bewohnen oder zumindest nicht mehr „bewirtschaften“ können wird, ist in Hekatomben von Studien hinreichend erwiesen. Daß dagegen weitere Hekatomben von Studien, Akkorde von Konferenzen mit Millionen Düsenjets und Limousinen, Gebirge von Verträgen, Pakten, Abkommen und Willenserklärungen nicht das geringste bewirken, ist ebenso erwiesen, sicher und absolut klar. Ob ein amerikanischer Hinterwäldler oder Präsident (oder beides in Personalunion) daran glaubt, spielt nicht die geringste Rolle.
Die Ursache des Übels ist auch bekannt: Es ist das von Profitgier getriebene ökonomische Wachstum, an sich und in jeder Hinsicht. Was nötig wäre, um den Planeten noch für einige Zeit oder vielleicht sogar auf lange Sicht bewohnbar zu halten oder wieder zu machen, erklären uns „alternative“ Wissenschaftler seit Jahrzehnten: Das Wachstum muß enden, meinetwegen schrittweise, aber jedenfalls sofort und radikal – weniger Wachstum ist immer noch Wachstum, hilft also absolut nichts, und es grün zu tünchen, ist purer Humbug. Der Mensch muß weniger erzeugen, produzieren, erfinden, verkaufen, verbrauchen und wegschmeißen. Auch das ist so eindeutig, klar und einsichtig, daß an dieser Erkenntnis auf die Dauer kein denkfähiges Lebewesen vorbeikommt.
Es sei denn, man verrußt ihm das Hirn. Nämlich stehen der Erkenntnis mächtige Interessen entgegen: Menschen und Konzerne, die mit Hilfe einer sogenannten Wissenschaft wilde Träume propagieren, von immer neuen Technologien, die die bösen Folgen des Wachstums irgendwie mildern oder mindern und das Wachstum selbst „nachhaltig“ oder „klimaneutral“ oder sonst was Hübsches machen sollen und nebenbei sogar noch neues Wachstum und neuen Profit generieren.
Dafür kassieren sie von ihren Regierungen unfaßbare Geldsummen, auf die sie keinesfalls verzichten mögen, und da kommt es ihnen ganz recht, wenn sie einen Donald als Sündenbock vorzeigen können, der sich der hehren Wissenschaft und dem Fortschritt in den Weg stellt. Einer Wissenschaft, der wir vom Verbrennungsmotor über Pestizide und Atomkraftwerke bis zum Genpatent so ziemlich jeden mörderischen Wahnsinn verdanken.
Aber der Donald kann nichts (oder vergleichsweise wenig) dafür, und die „Wissenschaft“ kann nichts dagegen, daß die Dinge nun mal so sind, wie sie sind. Und anstatt weiter zu erforschen, wie man das Unausweichliche möglicherweise ein bißchen hinauszögern könnte (und es damit im Normalfall noch zu beschleunigen), sollten wir uns vielleicht lieber auf das konzentrieren, was nötig ist. Braucht es dafür eine Wissenschaft? Aber ja. Die gibt es aber längst, und sie kommt ohne Teilchenbeschleuniger, Genlabors, Hybridmotoren und Marsmissionen aus. Und ohne „Markt“, sowieso.
Die Kolumne „Belästigungen“ erscheint alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.