Frisch gepreßt #377: Leonard Cohen „You Want It Darker“

Auf manche Dinge kann man sich blind verlassen. Wenn zum Beispiel die Jury des Literaturnobelpreises beschließt, mal wieder so richtig mit ihrer Offenheit und Vielseitigkeit aufzutrumpfen und endlich dem größten Songpoeten (mindestens) des 20. Jahrhunderts die Sprengstoffmedaille um den Hals zu hängen, dann erwischt es selbstverständlich mal wieder den falschen.

Was nichts gegen Bob Dylan heißen soll, der hat sicherlich seine Meriten (und wenn der Buchmarktschreier Denis Scheck dagegen ist, kann ich nur dafür sein). Es ist, was mich betrifft, eher eine Frage spätjugendlicher Prägung und in diesem Sinne sogar großes Glück: Unter den Trägern dieses seltsamen Preises waren in den letzten 116 Jahren ziemlich genau zehn, von denen ich schon mal mit Freude oder wenigstens Geduld was gelesen habe, und dafür aber Luschen und Krampfsteller galore, was vor allem im neuen Jahrtausend dazu geführt hat, daß ich Nobelpreisbücher grundsätzlich meide und hoffe, daß keiner meiner Lieblingsautoren das Ding kriegt.

Es ist aber auch eine Frage der frühkindlichen Prägung: In unserem Haushalt gab es eine spektakulär bunte Langspielplatte mit einem Hippie auf dem kopfstehenden Coverbild, die vor der Emanzipation durch Glam, Prog und Punk ein wesentlicher Bestandteil meiner musikalischen Grundnahrung war. Das Album hieß „That’s Underground“, und da waren außer manch obskurer Band, an die sich außer mir wahrscheinlich kaum noch jemand erinnert (wie wär’s mit The United States of America?), auch zwei Songpoeten drauf: Dylan und Leonard Cohen.

Während mich Dylans „Highway 61 Revisited“ damals schmerzlich an eine Zahnarztbehandlung erinnerte, war „Suzanne“ die erste und wichtigste Ballade meines Lebens. Es war das erste Lied, das ich auf der Gitarre spielen konnte, und es hat mich über die Jahrzehnte begleitet, ohne je einen Hauch seiner Wirksamkeit einzubüßen. Diese eigentümliche Mischung aus Demut und Hoffnung, Gelassenheit und glühender Trauer, Melancholie und Bescheidenheit, diesen Kranz von schlichten Worten, aus dem tausend Geschichten entspringen, die doch immer nur eine sind, eine uralte, die vielleicht älteste von allen – das bekam kein anderer Künstler der Welt und aller Zeiten je auch nur annähernd hin.

Im Gegensatz zu Dylan ist Cohen tatsächlich Dichter – er war es schon, bevor er Musiker wurde, mit 33, um nicht zu verhungern. Und eigentlich ist er nie ein richtiger Musiker geworden: Klangliche Fehltritte wie das fürchterliche Phil-Spector-Album „Death Of A Ladies‘ Man“ (1977) und das Synthesizergezicke der späten 80er und frühen 90er lenkten aber höchstens ab vom Kern dessen, was seine Kunst ausmacht: der Poesie, die in späteren Jahren zusehends düster und schwermütig wurde und nun ein Ende in fast schwarzer Dunkelheit erreicht hat.

Es ist die Dunkelheit einer verlorenen Welt und eines vergeblichen Lebens, in der „Millionen Kerzen brennen für die Liebe, die nie kam“. Cohen ist 82 Jahre alt, im Juli ist seine Lebensliebe Marianne, die zwei seiner schönsten Lieder inspirierte, gestorben, und Cohen hat ihr in einem Brief ohne Empfänger versprochen, bald zu folgen. Diese Erde, das spürt man vom ersten Atemzug des Titelsongs über die unmißverständliche Zeile „I’m ready, my Lord“ bis zum letzten Ton von „String Reprise/Treaty“, trägt ihn nicht mehr, und die Welt, der er nachtrauert, hat es vielleicht nie gegeben: „If you are the healer/I’m broken and lame/If thine is the glory/Mine must be the shame.“

„You Want It Darker“ wird Leonard Cohens letztes Album bleiben, und es ist ein würdiger Schlußstein, sparsam, aber höchst geschmackvoll und stilsicher instrumentiert und orchestriert, mit choralen Gastbeiträgen, die Gänsehäute verursachen, weil die ganze Zeremonie in neun Songs nie daran zweifeln läßt, auf was sie unausweichlich zugeht: auf das Ende. Diese Gewißheit ist furchterregend, stellenweise spürt man den Zorn des Mannes mit der ultraabgründigen Grabesstimme, der alles, wovon er erzählt, in die Vergangenheitsform stellt. Vor allem aber ist anrührend, wie abgeklärt, friedlich und ruhig er all das beschwört, was nicht mehr ist und nie mehr sein wird. Und das, was ist: Angst, Vulgarität und Wahn, die eine Welt am Laufen halten, in der Mitgefühl keinen Platz mehr hat. Das Motiv des Abschiednehmens kehrt immer wieder, es ist das Herz dessen, was einen bewegt, der nicht mehr kann und nicht mehr will. Dieses Album ist denn auch der würdigste, bewegendste Abschied, den man sich nur vorstellen kann.

Hoffen wir, daß nicht doch noch jemand auf die Idee kommt, Leonard Cohen einen Nobelpreis anzukleben, und danken wir ihm: für sein Leben.

Die Kolumne „Frisch gepreßt“ erscheint alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

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