Z hat mir neulich erzählt, sie führe jetzt eine „Nichtbeziehung“. Das sei zeitgemäß und trendig, außerdem habe sie sich das nicht unbedingt ausgesucht, und selbstverständlich führe sie diese Nichtbeziehung mit R, mit wem denn sonst.
Z ist seit ungefähr zehn Jahren, seit der letzten Schulklasse, mit R … nun ja, zusammen oder halt jetzt „nichtzusammen“; was sind solche Begriffe schon wert, „verheiratet“ heißt ja heute auch ganz was anderes als vor zwanzig Jahren, von „verlobt“ zu schweigen. Verlobt waren Z und R übrigens auch schon mal. Ich gestehe gerne, daß ich maßgeblich daran beteiligt war, ihnen (oder sagen wir: Z) diesen Schmarrn wieder auszureden. Eben wegen der Bedeutung der Begriffe, unter anderem.
Jetzt führen Z und R also eine Nichtbeziehung, was damit zu tun haben könnte, daß sie seit sechs Monaten nicht mehr zusammenwohnen, weil die Wohnung im Lauf der Jahre immer teurer geworden ist, die Arbeit von Z und R aber nicht. Eine ähnliche Situation gab es schon einmal, damals „mußte“ R nach Essen ziehen, wodurch aus der Beziehung eine „Fernbeziehung“ wurde, die beide an den Rand des Nervenzusammenbruchs brachte, weil die dauernde Telephoniererei neben den horrenden Kosten nur dazu führte, daß sie sich immer weiter entfernten, wie das der Telephoniererei halt so eigen ist: der eine äußert eine Information, der andere deutet mangels Augenkontakt etwas hinein (notfalls: „Du liebst mich nicht mehr!“, „Du verschweigst mir was!“ oder „Du hast was mit einer/m anderen!“), dann seufzt, schweigt, gurrt und tutzibutzit man so lange herum, bis die/der verliebteste Verliebteste sich vor lauter Überdruß irgendwas beliebiges Fleischliches herbeiwünscht, was man ohne Tutzibutzi anfassen kann.
Nun wohnt Z wieder bei ihrer Mutter (die mit ihrem Vater eine mutmaßliche „Nichtbeziehung“ führt) im äußersten Münchner Westen, R in einer WG im äußersten Münchner Osten, was Begegnungen und gemeinsam verbrachte „Quality time“ im Rahmen eines im modernen Sinne einigermaßen geregelten Berufslebens (Z macht circa zwanzig unbezahlte Überstunden pro Woche, R ist „frei“, arbeitet also technisch betrachtet rund um die Uhr) einigermaßen erschwert. Sie treffen sich alle ein, zwei Wochen, haben Sex oder nicht, besprechen ein paar Dinge, gehen hin und wieder essen. Das, hat R beschlossen, sei keine Beziehung, sondern eine Nichtbeziehung, die immerhin den Vorteil habe, daß man im Falle eines Falles sich nicht groß trennen müsse, weil man ja gar nicht zusammen sei, und viel problemloser als in einer Beziehung „Freunde bleiben“ könne.
Mir leuchtet das irgendwie ein. Wir, erkläre ich Z, führen ja im Grunde auch seit Jahren eine Nichtbeziehung: Wir telephonieren, smsen, facebooken, treffen uns ab und zu, haben hin und wieder Sex, betrinken uns und reden über alles, was uns beschäftigt. Aber Z hat wie meist sofort den passenden Zeitungsartikel parat, in dem erklärt wird, Nichtbeziehungen seien etwas ganz Schlimmes, weil man sie eben gar nicht groß beenden und daher auch keine „Verantwortung“ übernehmen müsse. O ja, sage ich, das ist bei „echten“ Beziehungen selbstverständlich ganz anders, schließlich dauere so eine Scheidung im Durchschnitt zehn Minuten, und die könne man auch nicht nach Lust und Laune erwirken, sondern nur wenn … na ja, man eben keine Lust mehr hat auf das Grinsgesicht mit Mundgeruch, das einem da seit Jahren schweigend am Frühstückstisch gegenübersitzt, oder wenn beim geringsten Ärger oder nach sechs Monaten ohne Sex eine der allüberall lauernden Beziehungshyänen daherkreucht und die/den einst Angebete(n) in eine Neubausiedlung samt Kind, Auto und Sky-Abo entführt. Da übernehme man schon eine gewaltige Verantwortung! Eine Nichtbeziehung wie die unsere hingegen sei völlig unverbindlich, weshalb wir uns auch nach jeder unserer seltenen, aber vehementen Streitereien höchstens ein paar Tage später mit dem schlechtesten Gewissen und der schlimmsten Reue der Welt versöhnt und gemeinsam über unsere Blödheit gelacht haben.
Da wird Z nachdenklich und kritzelt ein paar nicht zu deutende Graphen in den Zeitschriftenartikel hinein, wie sie das immer macht, wenn sie nachdenklich wird. Vielleicht, meint sie nach einer Weile, habe sie dann nicht mit R, sondern mit mir eine Beziehung und mit R keine Nichtbeziehung, sondern eher gar nichts, außer hin und wieder so ein … Dings, irgendwie.
Vielleicht, halte ich dagegen, habe sie mit R eine Beziehung und mit mir, so wie ich mit J und C und F und P und J und so weiter eine Beziehung habe, wie sie ja auch mit O und M und N und L, und vielleicht habe all das mit Sex und Zusammenwohnen und dem ganzen Quatsch überhaupt nichts zu tun, sondern überhaupt einzig und allein mit der Verantwortung, die man automatisch für Menschen übernimmt, die man mag und braucht und liebt, während man „eine Beziehung führen“ und heiraten und Kinder kriegen und sich dann wieder verpissen mit jedem beliebigen Menschen auf dieser Welt könne, nach Lust und Laune und vollkommen unverbindlich.
Und dann … rufen wir R an und sagen, er solle seine blöde Arbeit ein anderes Mal machen, und gehen uns betrinken und lachen die ganze Nacht, und am nächsten Nachmittag ruft mich Z an und erzählt, R habe sie gefragt, ob sie nicht doch wieder eine Beziehung mit ihm will, und sie habe gesagt, das sei schwierig, weil sie ja schon mit mir und O und M und N und L und der halben restlichen Welt eine Beziehung habe und das erst mal überdenken und definieren müsse, und jetzt sei er mal wieder stinksauer, aber das dauere ja bei ihm zum Glück immer nur zwei Tage.
Und ich denke mir, daß die Welt ohne Begriffe schon auch ganz lustig wäre. Aber vielleicht nicht ganz sooo lustig.
Die Kolumne „Belästigungen“ erscheint alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.