Frisch gepreßt #371: Fuck Yeah! „Fuck Yeah!“

Manchmal muß was raus aus einem. Zum Beispiel mußte nach dem zweiten EM-Spiel des späteren EM-Zweiten Frankreich in diesem Sommer (erinnert sich noch wer?) etwas raus aus einem Mann namens Paul Pogba, der zum Zwecke des Herauslassens eine Geste machte, die man als bras d’honneur kennt. Oder auch nicht kennt: Ein Großteil der beobachtenden Journalisten hatte zwar die Geste bemerkt, fing aber umgehend zu rätseln an, was das denn nun bedeuten solle. Die einen meinten: „Fuck you!“, die anderen „Fuck yeah!“, und das Bildungsbürgertum ließ umgehend auch was raus, nämlich sei das ein Skandal und beleidigend.

Fuck yeah, und wie! Aber nur, wenn man sich morgens das Näschen mit Rosenwässerchen frischt, über einen Wortschatz verfügt, der sich aus einem Konversationslexikon von 1911 speist und aus dem sich mit ein bißchen Würfeln und Scrabbeln mühelos jeder „Zeit“-Meinungsartikel zusammenschmeißen läßt. Wer hingegen der urban language auch nur minimal mächtig ist, weiß: Wenn mal alles so hinhaut, wie man es sich gerade noch nicht träumen lassen gewagt hat, dann muß das raus, und dann sagt nur „Fuck you!“, wer partout nicht dran glauben mag.

Zum Beispiel klingelt es an der Tür, und der Mitbewohner sagt: „Da stehen drei superscharfe Stripperinnen, ein Typ mit einem Geldkoffer und einem Riesensack Gras, Grant-Lee Phillips und Frank Black mit Gitarren, zwei Kästen Bier und eine Art Känguruh vor der Tür, die wollen alle zu dir!“ Je nach mentaler Disposition muß dann eventuell ein „Fuck yeah!“ aus einem raus.
Aber reden wir mal über Musik, reden wir mal über die frühen Neunziger (erinnert sich noch wer?, Folge 2): Was ist damals eigentlich passiert? Kurz gesagt war das so: Da war gerade noch alles brav, anständig, geregelt; Männer in Krawatte und Anzug „signten“ kompetente Fachleute zwecks Erstellung amtlicher Tonträger, Designer schneiderten aus Glitzerstoff, Radlerhose und viel Flatterbehang angemessene Starverpackungen zusammen, und das Millionenheer der Rockkonsumenten tat sich den Salm brav, anständig und geregelt rein.

Dann mußte plötzlich was raus. Auf einmal flogen Noise-gates und Harmonizer aus den Fenstern, schepperten rostige Klappertrommeln und verbogene Becken zu verstimmten Gitarren und knisternden Schrottröhren, krähten und grölten mandelentzündete Outcast-Stimmen disharmonisch in übersteuerte Flohmarktmikrophone, dröhnte, krachte, zerrte und brüllte eine ganze Generation von Heute-laut-morgen-kaputt-Bands mit zufällig aus dem Schundheft zusammengesuchten Namen und Klamotten aus dem Container ein einziges lautes „Fuck yeah!“

Das war auf eine verquere Art schön, aber (und) auch kaum zu fassen, nicht zu regeln, nicht zu kontrollieren und schwer zu vermarkten. Drum war der schmutzige Sandsturm bald wieder vorbei, weggefegt von einer neuen Britpopwelle, der zwar auch ein lautes „Fuck yeah!“ enttönte, die aber wenigstens so viel Anstand hatte, chartskompatible Songs zu schreiben und sie so zu produzieren, daß sie Tante Klarabellas Radioohren nicht verletzten (solange sie nicht die Zeitung aufschlug).

Irgendwie schade, wenn Sachen so vergehen und man selbst die losen Fäden, die da noch aus der Vergangenheit herauswehen, nicht mehr sieht und schon gar nicht sich was dran knüpfen traut. Drum schön, daß vier Münchner Männer das tun: rostige Klappertrommeln, verbogene Becken, knapp verstimmte Gitarren, Knisterröhren und übersteuerte Flohmarktmikrophone in einen Keller schleppen, nach Herzenslust ihrer Liebe zum Krach und zur zerkrumpelten, verletzt-stolzen Rinnsteinmelodie, zum musikalischen Äquivalent eines Dieselmotors und zur weltvergessen-selbstverliebten Mülltonnenballade frönen und sich einen Dreck drum scheren, ob das „vermarktbar“ oder „authentisch“ ist und was Tante Klarabella davon hält. Ein lautes „Fuck yeah!“ eben.

Übrigens, das sei den wenigen, die noch nostalgische Wehmut mit damals verbindet, mit einem vertraulichen Augenzwinkern geflüstert: Die Erwähnung von Grant-Lee Phillips und Frank Black in diesem Text ist kein Zufall. Auf die übrigen Namen: kommt ihr dann schon selbst.

Die Kolumne „Frisch gepreßt“ erscheint alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

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