Wir müssen noch mal über David Bowie sprechen. Sollte man sowieso, da ist jeder Anlaß recht, auch der, daß zu seinem halbten Todestag oder halbten Siebzigsten jene drei Alben noch mal (man frage nicht, zum wievielten Mal) neu erscheinen, mit denen er nach dem abstinenzinduzierten Abstieg und dem Untergang mit Tin Machine ab Mitte der 90er künstlerischen Suizid beging und sich wiederfand.
Die 80er hatten den Mann, der im Jahrzehnt zuvor wie kein anderer aus tobendem Chaos triumphale Klarheit und hinreißende Schönheit geschöpft hatte, versehrt: 1990 gab es David Bowie nicht mehr. Der letzte einigermaßen große Song („Under Pressure“) bald zehn Jahre alt, seine Rolle als glamourös changierende Lichtgestalt der Ausgestoßenen, Gebrochenen und Verlassenen hatte Morrissey übernommen. Der wichtigste Grund für den Niedergang wird, wohl aus pädagogischen Motiven, selten erwähnt: Amphetamin und Kokain. Genauer gesagt: das Fehlen der Substanzen, deren maßlosen Konsum er um 1980 aufgegeben hatte. Drogen, das ist eine Binsenweisheit, können Kreativität vielleicht nicht erzeugen, aber deren Ergebnisse grundlegend prägen und verändern, sie mit Magie und Geheimnis erfüllen – gerade weil sie die Persönlichkeit zerrütten, verstören, sprengen, machen sie die Abgründe spür- und sichtbar, denen zufällige Geniestreiche wie „Low“ und „’Heroes’“ entspringen (können!). Vergeblich und verzweifelt danach das Bemühen um Originalität, wozu auch die vielen Stimmen beitrugen, die Bowie als „Innovator“ feierten, dessen kreative Hauptleistung darin bestanden habe, die Zukunft vorwegzunehmen.
Wie schrecklich es enden kann, wenn man fehlende Inspiration und Songs durch ein Übermaß an halbgaren und faulen „Ideen“ zu ersetzen versucht, zeigte „1. Outside“ eindrücklich: ein restlos überladener, zäher Brei aus Krach, Geräuschen, Effekten und einer derart verstiegenen Pseudo-SF-„Story“, daß das Ausbleiben weiterer Teile der angeblich geplanten Serie auch Bowie selbst als Erleichterung erschien.
Seit „Black Tie White Noise“ wurde jedes Bowie-Album beharrlich als „sein bestes seit ‚Scary Monsters’“ beplappert, wobei man ebenso beharrlich ausblendete, daß er bis dahin nicht nur Vordenker, sondern vor allem ein phantastischer Songwriter gewesen war. Daß ein harmonie- und melodielos wabernder Lärmhaufen wie „The Heart’s Filthy Lesson“ in einer Reihe von „Life On Mars“ bis/über „Ashes To Ashes“ nichts zu suchen hatte, fiel niemandem auf – nur Bowie selbst, der die ausbleibende Inspiration durch wahlloses Aufspringen auf abfahrende Züge zu ersetzen versuchte. Nach Dancefloor-Electro und Industrial-Grobheit stürzte er sich als nächstes in Drum & Bass und Jungle. Darunter verstand man eine monotone Elektropauke mit Geklapper, was ein paar Wochen lang als die Dancefloorsensation galt, bis sich herausstellte, daß so was in ein paar Minuten jeder Viertkläßler erstellen konnte. Freilich ist dagegen nicht viel zu sagen, nur fiel Bowie leider nichts dazu ein, was mehr gewesen wäre als Tröpfchen in der schnell verebbenden Welle (und Reeves Gabrels auch nur ein paar Plastik-Billy-Idol-Riffs und schwanzverlängernde Möchtegern-Van-Halen-Dudeleien).
Es fehlten neben dem Drogenwahn: die Probleme, das Leid, aus dem große Kunst entsteht. Der Bowie der 90er schlürfte lächelnd an Champagnergläsern, beschallte Computerspiele, ließ sich mit Eintagsfliegenpromis photographieren und zu seinem Fünfzigsten zum Bühnengehampel mit Leuten wie Billy Corgan herab. Es fehlte aber auch: die Einsicht, daß die von „Meinungsführern“ immer wieder lauthals betonte Bedeutung Bowies als Trendsetter, Pionier und Grenzüberschreiter in keinem Verhältnis stand zu seinen Qualitäten als Songwriter und Interpret. Das ihm irgendwann, und so verabschiedete er sich 1999 von entwürdigenden Sperenzchen und modischem Schnickschnack und drehte dem Genörgel der Kritiker, die zu jener Zeit an Platten nicht mehr die musikalische Substanz, sondern nur der vermeintliche kulturhistorische Stellenwert interessierte, eine Nase, indem er zu „’Hours …’“ sagte, er habe die Welt nur noch dadurch überraschen können, „ein echtes Bowie-Album aufzunehmen“.
Das enthielt ein paar anständige Songs, denen stellenweise endlich wieder die episch crescendierende Melancholie der späten 70er entströmte. Zudem veränderte sich erneut Bowies Stimme: Die aufgesetzte Grimmigkeit, die die todesöden Linien auf „1. Outside“ noch weniger erträglich gemacht hatte, wich einer verletzlichen, gelassenen Leichtigkeit. Zwar durfte sein Gesang nun wieder Gipfel erklimmen, sich in Täler stürzen, aber er tat es mit einem altersweisen Lächeln, aus dem die Einsicht in die Unvermeidbarkeit der Grunderfahrung sprach, die als Schwarzes Loch im Zentrum jeder wirklich guten Popmusik schwärt: Vergeblichkeit.
So schloß sich der Kreis, wurde Bowie unbemerkt von den Dampfplauderern, die von ihm nur „Impulse“, aber keine Songs wollten, wieder zu dem, was er von 1969 bis 1981 gewesen war: zum Suchenden, der die Verzweiflung über die Aussichtslosigkeit der menschlichen Existenz mit Kunst wenn nicht zu überwinden, dann mindestens zu stillen versuchte.