Belästigungen 07/2016: Müßige Gedanken bei der Betrachtung einer Art Hochleistungsschwimmhalle ohne Dach und Becken

Man kann nichts mitnehmen. Das ist die Grundeinsicht des menschlichen Lebens, und wie alle Einsichten, Erkenntnisse und rettenden Ideen kommt sie so gut wie immer zu spät. Drum irrt der Mensch durch die ihm zugeteilte Lebenszeit und kriegt nichts davon mit, weil er wie irr schaffen und raffen muß, und am Ende macht es dann Zupp!, und er ist weg, aber das Zeug bleibt da.

Ich komme da jetzt nicht wegen Guido Westerwelle drauf, dem man ein möglichst langes Leben mit möglicherweise irgendwann eintretender Einsicht oder gar Weisheit gewünscht hätte, statt daß er hinfort muß und der Irrsinn, den er angerichtet hat, noch Generationen von Menschen auf den Schultern hängt wie ein Bleirucksack. Noch nicht mal wegen Lothar Späth, dem die Erkenntnis des Zuspätkommens jeglicher Einsicht gnädigerweise dank Demenz erspart blieb, weil sie geholfen ja ohnehin nicht mehr hätte. Sie mögen in Frieden ruhen, am besten in einem Dreibettzimmer mit Lemmy Kilmister, einer der ganz wenigen Ausnahmen: Was der in seinem Leben so zusammengedampfplaudert und -gedröhnt hat, mag streng betrachtet überwiegend ein Riesenschmarrn sein, aber nett ist es doch, daß er den Krampf nicht einsammeln, in einen Koffer packen und mitnehmen konnte, weil an Schmarrn herrscht auf diesem Planeten immer mehr Bedarf als gedeckt werden kann.

Nein, komischerweise ist mir das mit dem Mitnehmen neulich ein- oder vielmehr aufgefallen, als ich durch Schwabing spaziert bin, über den Wedekindplatz. Der war früher mal ein ziemlich wild gewachsener, beschaulich unaufgeräumter und oft richtig lustiger Ort, wo sich Menschen, die nichts zu tun hatten, zufällig trafen und versammelten, um Blödsinn zu erzeugen und auszutauschen und insgesamt eine Gaudi zu haben oder auch bloß müßig auf einem Bankerl oder am Straßenrand zu sitzen und anderen beim Gaudihaben zuzuschauen.

Dann aber kam eine Bagage daher, die mindestens aus einem profitsüchtigen Spekulanten, einem von seiner unbremsbaren Gestaltungsmacht besoffenen Stadtplaner (möglicherweise in Personalunion) und einem traditionell brumpfigen Bauunternehmer (vermutlich mit ebenfalls mindestens monetär schwippschwägerlichen Verschweißungen zum Rest der Besetzung) bestand. Das geht selten gut aus, weil derlei Leute, wenn sie einen solchen Platz betrachten, nichts sehen von dessen zivilisationsnatürlicher Gewachsenheit und gaudimäßiger Bedeutung, sondern lediglich zwei „Gedanken“ haben: „Sakrament, aus diesem windigen Viertel läßt sich mit ein bisserl Investition, Beton und Fassadenfaschismus ganz schön was rausleiern!“ und „Das leiern wir raus, und dann nehmen wir es mit!“

Und schon wurde gerissen, gesprengt, gebrochen, gebohrt, gehackt und planiert, daß es eine Art hatte. Und zwar möglichst chaotisch, durcheinander und langwierig, weil bei allzu hurtigen Baumaßnahmen die Gefahr besteht, daß sich die Menschen hinterher noch erinnern, wie es vorher war, und dann spüren sie am Ende einen Phantomschmerz dort, wo früher die Gaudi war, und begehren vielleicht sogar auf, weil sie dem Irrglauben verfallen, die Welt, die sich die anderen angeeignet haben, gehöre irgendwie doch auch ihnen. Nein, die müssen schon so richtig weggegrault werden, und ihre Nester, wo sie sich im unregierbaren Bierdampf berauschen, die kriegt man nebenbei mit etwas Glück auch gleich trockengelegt und kann sie in schmucke Latte-Automaten für zugezogene Hipsterdarsteller verwandeln, von deren (von den Elterngenerationen logischerweise nicht mitgenommenem) Millionenerbe man dann ebenfalls noch was abzapfen darf.

Jetzt also: ist der Platz zu einer Art Hochleistungsschwimmhalle ohne Dach und Becken oder (je nach Blickrichtung) zum Open-air-Äquivalent eines besonders sterilen Parkhauses (ohne Parkplatz) kastriert, mit dem man nichts mehr anfangen kann als eilig zwischen den herumdröhnenden SUV-Panzern hindurchzufetzen und hilflos nach einem Ersatzort zu suchen, wohin man sich flüchten kann. Und die Verwüster hängen am Ende an ihren Schläuchen auf der Palliativstation und müssen einsehen, daß sie den angerafften Kapitalhaufen eben doch nicht mitnehmen können.

Den versucht der Nachwuchs dann per Latte macchiato und Porschemaschinen in Distinktion umzusaldieren, bis er irgendwann merkt, daß ein Leben aus dem Geld nicht herauszudestillieren ist und man es deswegen besser ansammelt, damit es mehr wird und man es am Ende mitnehmen kann.
Man möchte meinen, es wäre ein Leichtes, den unheilvollen und letztlich irgendwann gesamtfatalen Wahnsinn aufzuhalten. Da bräuchte man doch bloß einen Staat gründen, der dafür sorgt, daß es gar nicht erst zur Anhäufung solcher Haufen kommt, die dann ihre hirn- und weltzersetzende Wirkung entfalten, um sich weiter aufzuplustern. Zum Beispiel mit einer lustigen Erfindung namens Steuern. Aber leider ist es in Deutschland traditionell verboten, Profit und Vermögen zu besteuern, weil die sonst zürnen und den Staat einfach wieder abschaffen oder ihn wenigstens in einen Krieg hineinschmettern, daß ihm Hören, Sehen und Besteuern garantiert vergeht.

Und so geht der Wahnsinn weiterhin im Kreis herum, Generation um Generation, die Haufen blähen sich auf, und während sie das tun und es im Kreis herumgeht und alle wie die Irren schaffen und raffen und betonieren, denkt niemand daran, daß man außer dem Mammon vor allem eines nicht mitnehmen kann, was einem nicht erst am Ende abgeht (da allerdings dann auch), sondern (meistens ohne daß man es merkt) jeden Tag und jede Stunde: die Lebenszeit, die man in Lebensfreude umwechseln kann. Oder gekonnt hätte, wenn man nicht zu spät – kurz bevor es Zupp! macht – gemerkt hätte, daß der Vorrat begrenzt ist und es keine Tankstelle zum Nachfüllen gibt.

Die Kolumne „Belästigungen“ erscheint alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

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