Frisch gepreßt #362: Bumillo „Veit Club LP“

Eine Kurzeinführung in Charakter und Ursprung der mitteleuropäischen Kultur kommt nicht um eine zentrale Tatsache herum, gegossen in den ewiggültigen Merksatz: Eine Kneipe ist eine Kneipe (vulgo localo: Boazn). „Dann bestellen wir beim Kellner ein Bier und saufen so lang, bis was Lustiges passiert, und dann erzählen wir uns selber, wie wir dabei waren, als was Lustiges passiert ist“ könnte als Quintessenzregel und Summenformel der Weltfunktion das Leben als solches treffender beschreiben als Hekatomben unverstandener Ergründungsliteratur. Und freilich auch dieses Album, das hierfür stellvertretend steht, indem es sozusagen sich selbst gebiert – und keineswegs gebärt, weil der Bär in diesem urko(s)mischen Urmechanismus nichts verloren hat, das Bier sehr wohl.

„So ward durch den Glauben der Trank geheiligt, und heilig war auch der Gastfreund, der an dem Tische des Hausherrn den Becher leerte.“ (Max Bauer, Der deutsche Durst, Berlin-West/Leipzig 1903) – „Gott schenkt nicht jedem Land den Wachstum derer Reben / Woraus der Menschenfleiß den edlen Wein erpreßt / Doch weil er anderwärts die Gerste wachsen läßt / So weiß des Menschen Kunst uns daraus Bier zu geben.“ (Theodor Schöpfer, Traktat vom Bierbraurecht, o. O. 1732) – Schon zu Zeiten indes, als man in ärlich-erbärmlicher Unkenntnis der Hopfendolde und ihrer segensreichen Wunderwirkung hierzulande Eichenrinde, Wacholderbeeren, Birkenblätter, bittere Wurzeln und Nesselstengel in den zum Trunk geheiligten Urquell des Lebens und der Narretei hineinsott, ragte einer an Bedeutung und Macht über Kaiser, König und Truchseß hinaus: der Wirt, nach dem folglich auch das späterhin zum „Gasthaus“ selbstentwürdigte, recte aber Wirtshaus zu nennende Lokal benannt ist, in dem und um das sich alles dreht, solange sich alles dreht.

Nennen wir ihn Veit, nennen wir es einen Club, schließlich ist wie der Witz auch der Kalauer als Sonderform nur in der Welt, weil und solange man trinkt. Nennen wir in diesem Sinne das Genre, das hier seine Erstehung aus dem Zapfhahn und sich selbst inszeniert und zelebriert: Kabarap, und fügen wir für die Anhänger hin und wieder florierender Mäßigungsinitiativen hinzu, daß man sich freilich dann und wann ein „Ma“ vor den Begriff und den Kaba als solchen denken kann, wenn vorabendliche Exzesse es nötig machen, „Den ganzn Dog im Schlafanzug“ zu verbringen.

Es ist ja mit dem unmittelbaren Umkreis von Tresen, Faß und Krug bei weitem nicht alles abgedeckt, was der umtriebig sprudelnde Geist von Meister Bumillo aus dem Sud seiner infibierten Gedankenläufe herausdestilliert und mit Unterstützung des Beatarchitekten Dammerl sowie einer denkbar weitläufigen Gästeliste (Zwoa Bier, Christoph Theussl, Sauerkirsch und aber auch Horst Seehofer) in die Welt gestellt hat als Monument von Sinn und Unsinn des Wesens im – nun ja: weiteren Umkreis von Tresen, Faß und Krug. In der „Geldstadt mit Scherz“, der, wer möchte widersprechen: „Vorstufe zum Paradies“.

Dabei sein, wenn man sich erzählt, wie man sich erzählt, wie etwas Lustiges passiert, eben. Das ist es: Zehn Tracks, zehn Lieder, zehnmal Weisheit und Dummheit in unverbrüchlicher Fusionseinheit – dabei eine einzige Geschichte, ein Spiegel des Lebens, ein aus sich selbst entspringender, Geist und Gemüt erquickender Wasserfall der Worte, eine (wie sollte man es treffender sagen als es sich selbst sagen zu lassen?) „Frischluftwatschn“, die den Frühling einläutet, begleitet, illustriert, vertont und auf den Punk bringt.

Die Kolumne „Frisch gepreßt“ erscheint alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

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