Frisch gepreßt #359: Rihanna „Anti“

Obacht, der Mainstream-Drücker steht vor der Tür! Armer Kerl, freilich, will ja auch bloß sein Brot verdienen, indem er Klingeln putzt und jedem, der ihm in die Quere kommt, sein Zeug ins Hirn reibt, damit der es sich dann ins Trommelfell reibt und solcherart („Was? Noch nicht gehört!?“) weiter verbreitet.

Jetzt steht er da, betrachtet die Hirnbriefkästen und beschließt mal wieder, seine Sprachzugehörigkeit ein paar tausend Kilometer umzudefinieren, um „Keine Werbung! Wir wollen Müll vermeiden!“ nicht entziffern gekonnt zu haben. Und schmettert sein Zeug hinein, das die Beschallungsbeauftragten der Super- und Drogeriemärkte dann loszuwerden versuchen, indem sie es so beharrlich abspielen, bis die CD leer ist. Wird sie aber nicht.

Lustig ist, daß niemand merkt, wie sich der Begriff „Mainstream“ und sein Inhalt in den letzten Jahren verändert haben. 2005 zum Beispiel galt alles zwischen PC-Game-Elektro und – ja, z. B. Rihanna als Mainstream, insbesondere die Eisenbahnladungen von synthetischem „R&B“, die derart genormt fließbandmäßig erstellt und in die Weltlandschaft gepumpt wurden, daß sich ernsthafte Musikfeuilletonisten damit nur dann tippend beschäftigten, wenn ein gescheiter Name draufstand (d. h.: einer, der durch eine gewisse Haltbarkeit „Relevanz“ bewiesen hatte; im Zweifelsfall Madonna). Freiwillig anhören tat sich derlei: niemand.

Ernsthafte Musikfeuilletonisten zuckten damals im Indiefieber und berauschten sich gegenseitig mit Begeisterungselogen über Bloc Party und immer mehr andere neue Bands, von denen es bald so viele gab, daß die Unterschiede und Eigenheiten im Sumpf der Fließbandnorm versanken.
Heute sind davon im Grunde nur Bloc Party übrig, die der neue und ein etwas anderer Mainstream sind: Zwar muß sie niemand im Drogeriemarkt über sich ergehen lassen, aber beschäftigen tut sich gefälligst JEDER damit, zu Befehl! Das neue Album anzuhören ist dafür nicht unbedingt nötig, die Kritiken sind auch eher lau bis mau, aber mei: Pflicht ist nun mal Pflicht. Wer keine Meinung hat, ist off, out und anti!

Dabei war es doch mal so chic und schön und persönlichkeitsbildend, anti zu sein! Da muß man sich nicht schämen, wenn man sich der Pflicht entzieht und statt dessen ein Album auflegt, das schon „Anti“ heißt, rein äußerlich soooo viel interessanter aussieht als das banale Bloc-Party-Ding und nach zehn Jahren Indiezwang zumindest Abwechslung verspricht. Und man möcht’s nicht glauben: Es lüftet das Hirn fast so ähnlich wie damals „Silent Alarm“.
Beim ersten Durchlauf darf ruhig nebenher noch der Staubsauger oder die Waschmaschine laufen – die trotzig-traurige Stimme in der gläsernen Statik der ersten Single „Work“ fällt trotzdem auf, gerade weil sie (wie auf einem großen Teil des Albums) mit der terroristischen AutoTune-Software verfremdet ist. Und wenn der Finger bei der klassisch-hypermodernen Ballade „Love On The Brain“ nicht automatisch nach dem Ausknopf (des Haushaltsgeräts) tastet, tut er’s spätestens bei dem noch viel mitternächtlicheren, nur von Klavier und zaghaften Synthetikstreichern begleiteten Finale „Close To You“. Dann kommt der zweite Durchlauf, diesmal mit ganzem Ohr, der viel Überraschendes, überraschend Überraschendes und zwischendurch auch einigen Schrott findet, was sich insgesamt zu einem vergnüglichen, bisweilen nachdenklichen Abend ohne Halligalli und Glitzerblitzer amalgamiert. Der mit etwas Koinzidenz sogar lebensgeschichtlich im Gedächtnis bleibt.

Apropos Verweigerung: Hits sind hier nicht wirklich drauf, zur Beschallung eines Kindergartenfaschings eignet sich die Platte auch nicht, und ein Kritiker meinte: „Letztlich wirkt das Album nicht, als wäre es der Künstlerin nicht gelungen, ihre Vision durchzuziehen, sondern als hätte sie gar keinen Bock gehabt, eine Vision zu entwerfen.“ Hinzu kommt: Wer im Bemühen um sozialdistinktiven Mehrwert die „Deluxe Edition“ kauft (die normale gibt es als Download kostenlos), kriegt eine Nase gedreht: Die drei Bonustracks sind so übel, daß man Rihanna förmlich hämisch lachen hört (an einem davon war übrigens Ex-Bloc-Party-Produzent Paul Epworth beteiligt, so schließt sich der Kreis). Und so was („Ever get the feeling you’ve been cheated?“) nannten manche Leute früher mal: Punk, hä hä.

Die Kolumne „Frisch gepreßt“ erscheint alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

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