Frisch gepreßt #357: David Bowie „Blackstar“

Oh, haben wir in letzter Zeit mal über David Bowie gesprochen? Eigentlich schade, denn es wurde in letzter Zeit wenig, dafür früher oft viel zu viel über David Bowie geredet, über den „Mann, der zu schön war“ (wie 1973 eine Zeitschrift namens „Pop“ schrieb und dem Autor dieser Zeiten selbigen Mann für alle Zeiten ins Hirn nagelte), viel zu vieles, was man glücklicherweise bald wieder vergaß, weil das Gedächtnis gnädig und die Welt zu groß ist, um alle Irrungen des Menschengeschlechts aufzubewahren.

Ein paar Erinnerungen indes sind doch geblieben: an das ungute Gefühl, das 1980 beim Hören von „Fashion“ aufkeimte und sich in den folgenden dreieinhalb Jahrzehnten immer aufs Neue bestätigte und erblühte – daß da was faul war, eine Kleinigkeit möglicherweise nur, ein Ausrutschen ins Gewöhnliche, wo ein David Bowie nicht hingehört und nie hingehören sollte. Die ganze Welt kaufte 1983 „Let’s Dance“ und ahnte nicht, wie schlimm das war, was für ein Sturz in den Abyss, welch ein Stolpern, Taumeln, trotziges Stammeln die folgenden Dekaden; erahnte Verschlimmerungen wie „Never Let Me Down“, grauses Entsetzen über „Tin Machine“, enttäuschte Hoffnungen zuhauf („Black Tie White Noise“, „Heathen“, „Earthling“), eine Biographie tapferer Versuche, sich an „1. Outside“ und „’Hours …’“ zu gewöhnen, „Reality“ mehr abzugewinnen als eine Klipfel-Dapfel-Geräuschtapete.

Bis dann endlich niemand mehr so richtig reden wollte. Gestehen wir, „The Next Day“ vor bald drei Jahren einen Nachmittag lang interessant und wichtig gefunden zu haben, bis zum zweiten Hören mit Wochen Abstand, das ein vorletztes blieb und nichts ergab als Stolpern, Taumeln, trotziges Stammeln. Hülsen von Songs, die keine werden wollten, im Regal verschwunden als weiteres Isoliermaterial um „Hunky Dory“, „Ziggy Stardust“, „Aladdin Sane“, „Diamond Dogs“, „Young Americans“, „Station To Station“, „Low“, „’Heroes’“, „Lodger“, den Kern eines Werks, das letztlich nur aus diesem Kern besteht.

Egal, dahin, vergessen und verweht.

Im späten Herbst 2015 dann registrierte man verwundert einen fast zehnminütigen … sagen wir: Track, in dessen Verlauf unter anderem Rod Stewarts „I Was Only Joking“ zu einem schmelzenden Brei dissolvierter Melodiefetzen zerfällt, Saxophone meditieren, etwas klopft und ein frei im weiten Weltall schwebender Mann von einer einsamen Kerze träumt. Sehr eigentümlich, das alles, eine Mischung aus modalem Jazz, verwegener Elektronik und mancherlei Zutaten, die schlimme Befürchtungen wecken. Seltsam aber, wie angenehm das zu hören war. Und ist, noch seltsamer.

Gerühmt und gelobt wurde jedoch vor allem der Wagemut, die Vielzahl der Anspielungen, die Entfernung vom Gewohnten, und das kennen wir, haben wir bei und mit David Bowie häufiger erlebt als bei jedem anderen Künstler dieser Welt. Drum Warten und Bangen, was folgt. Das ist: „’Tis A Pity She Was A Whore“, ein schon 2014 als B-Seite veröffentlichter, relativ wenig sagender Cocktail aus 80er-Gerappel, einer hübschen Leitmelodie und genüßlichem Zerfräsen von Erwartungen, der auf jedem der erwähnten späteren Alben dank dem famos und triumphal selbstquälerischen Saxophonsolo von Donny McCaslin ein Glanzlicht, ansonsten aber nicht viel gewesen wäre. Die schwermütige Meditation „Lazarus“ ändert das Licht zu samtigem Graubraun, und da läßt man sich fallen, sinken, los, während Ben Monders brachiale Gitarrenriffs durch die Kulisse brechen wie Fäuste aus einer anderen Dimension. „I’ve got nothing left to lose“, singt dazu ein desillusionierter Mann, der mit diesem Album 69 wird und offenbar weiß, daß alle Träume Brücken in ein verlebtes Einst sind.

Das könnte schon genügen; diese sechseinhalb Minuten reichen aus, um „Blackstar“ sehr nah an den erwähnten Kern zu rücken. Daß das 2014 schon als Single erfolglose „Sue (Or In A Season Of Crime)“ ein verunglückter Hardrock-Jazz-Bastard ist, in dem David Bowie herumirrt wie ein elektrogeschockter Affe, schreibt man dem experimentellen Charakter des Unternehmens zu, der immerhin für ein furioses Finale sorgt. Auch „Girl Loves Me“ kündigt mehr an, als es halten kann, wirkt aber auf verwirrende Weise faszinierend. Wem nun der Mut sinkt, der lasse sich von dem wundervoll elegisch ausfransenden „Dollar Days“ und einem wiederum grandiosen Saxsolo fangen, tragen und trösten, ehe „I Can’t Give Everything Away“ mit Anti-Tanz-Elektrorhythmen und Synthflächen noch mal zaghaft die frühen 90er streift, die Türe schließt und vielleicht neue öffnet.

Wagen wir diesmal besser keine Prognose, nur eine Kurzbilanz: zwei Einträge ins Best-of-Register, einiges Füllmaterial für popüberdrüssige Schreiber und manches, was wachsen könnte. Das wird der Frühling weisen, dieser oder ein anderer.

(Anmerkung: Dieser Text entstand sechs Tage vor David Bowies Tod und erscheint hier aus Gründen der historisch-atmosphärischen Stimmigkeit ohne jede Nachbearbeitung.)

Die Kolumne „Frisch gepreßt“ erscheint alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

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