Das Interessante (wenn überhaupt) an moderner, nein, sagen wir: zeitgenössischer (um die entwicklungsfreie stilistische Beliebigkeit des entsprechenden Genres auf dem Kunstmarkt als Referenz herbeizuziehen) Popmusik ist ja im Normalfall nicht die Musik selbst, sondern wie sie zum Medien- und also überhaupt: Phänomen wird.
Dazu muß sie einerseits ziemlich normal sein, darf also weder intellektuell noch ästhetisch übertriebene (oder irgendwelche) Ansprüche an den erwünschten Rezeptor stellen, braucht aber andererseits einen Aspekt, der sie aus der Masse des gleichwertig Normalen heraushebt oder seitwärts -schiebt, und zwar blitzartig. Ein milder Ekelfaktor hilft da gerne: Künstler, die ihre eigenen Exkremente verkaufen, Tierschlachtungen auf der Theaterbühne, literarische Auseinandersetzungen mit Analfisteln und entzündeten Nasenpickeln. Die Etiketten „Tabubruch“ und „Grenzüberschreitung“ sorgen für Publizität, weil sie den Reklamebuden, die sich heutzutage „Kritik“ oder „Berichterstattung“ nennen, jegliche weitere/tiefere Beschäftigung ersparen und so hübsch grell ausblenden, daß dieselben angeblichen „Tabus“ und „Grenzen“ schon tausendmal gebrochen und überschritten worden sind und täglich aufs Neue werden.
Das Musikprojekt von Daniela Reis und Fritzi Ernst mit dem trefflichen Namen (Fleisch-Kartoffel-Fettpampe mit Ketchup und Mayonnaise) ist ein gutes Beispiel. Ohne Texte hört sich ihr Debütalbum an wie eine ungelenke, höchstens halbwegs talentierte Sammlung von Wohnzimmerdemos, die minderjährige Fans einst an das Management von Fräulein Menke, Tic Tac Toe oder Lucilectric geschickt haben könnten: unfertig, klapprig, dilettantisch, aufdringlich dissonant, getragen von billigen Da-di-da-di-Plastikkeyboards, einem offenbar mit Trainingsgewichten an den Unterarmen geklopften Schlepp-Schlagzeug und diversen Störgeräuschen (von denen man gerne lobend sagt, sie brächen „Hörgewohnheiten auf“ oder so was). Streckenweise klingt das in seiner Unbeholfenheit rührend charmant, am Stück wird es penetrant, zumal sich die erwünschten Melodien nicht wirklich einstellen wollen und die Versuche, etwas zu konstruieren, was im Ohr bleibt, arg bemüht wirken.
Also die Texte: Auch die sind anstrengend, weil sie unter einem totalitären Reimzwang leiden, die meisten Reime aber schief, krumm oder falsch sind. Poesie kann so nicht entstehen, Witz auch nur hie und da; der Plapperjargon nennt das deshalb gerne: „Diskurs“. Heißt: es geht um nichts als „Du bist doof und gemein“ und „Ich bin dies und das und wichtig“. Aber jede Menge Fäkal-, Schimpf und Sexualwörter sowie ein wg. Penis bei Youtube gesperrtes Video – das knallt medial, und die Choruszeile „Du hast mir gezeigt dass es egal ist wenn man liebt schmeckt der Kopf nach Füße und der Genitalbereich nach Pisse“ (die man je nach Interpunktion so oder so verstehen kann) ist ja wirklich so wundervoll zufallsgenial, das Lied dazu so blendend charmant, daß man einfach grinsen muß und sich die Meinungen spontan scheiden: Die einen schämen sich, daß sie so was anspricht, und entsorgen es diskret im Schlagermülleimer.
Die anderen (vornehmlich überdrüssige Hipster ab Mitte vierzig) blenden aus, daß der Rest der Platte um den Hit „Pisse“ herum nur aus gescheiterten Versuchen besteht, noch mal so was Zufallsgeniales hinzukriegen, und schwärmen drei Wochen lang Hinz und Kunz vor, wie sagenhaft geil das Ding ist, jetzt nicht nur wegen Hörgewohnheiten, Tabubruch bla, sondern auch wegen „Genderdiskurs“ und Dings und Dongs irgendwie.
Ganz dafür oder voll dagegen, dazwischen geht nicht. So geht ein Hype, so entsteht ein Phänomen. Dauert aber nie lange, leider oder zum Glück.