Im Regal: Umberto Eco „Nullnummer“

Seit „Der Name der Rose“ besetzt der ehemals als Semiotiker tätige Umberto Eco romanweise mit höchstem Erfolg ein Genre, das er selbst begründet hat: die Verbindung von Abenteuer- und Kriminalgeschichten mit historischen Tatsachen, Mythen, Textauslegungen/Zitaten und Verschwörungstheorien, die er allesamt so wild durcheinandermischt, daß daraus inzwischen weit über die Literatur hinaus eine Lieblingsbeschäftigung „postmoderner“ Weltdeuter geworden ist.

Das Rezept bleibt im wesentlichen gleich; der Reiz der Geschichten ist durchaus unterschiedlich und hängt davon ab, wie plausibel der weithin, aber nicht immer tief belesene Autor die Einzelstücke zusammenschraubt – und ob er es hinkriegt, seinen Hang zur Gschaftelhuberei und zum Protzen als Hansdampf in allen Infogassen zugunsten einer wenigstens einigermaßen interessanten Rahmenhandlung und mindestens ungefähr erkennbaren Protagonisten zu zähmen.

„Nullnummer“ (gemeint ist kein torloses Fußballspiel, sondern die nicht veröffentlichte Probenummer einer Zeitschrift) ist, obwohl ungewöhnlich dünn und lediglich zwei Monate umspannend, zu lang, zu weitschweifig, zu gespickt mit Redundanzen und Ablenkungen. Die wenigen guten Ideen rutschen dazwischen, die Figuren bleiben blaß, die Rahmenhandlung ist schnell erzählt: Ein gescheiterter Schriftsteller erhält den Auftrag, als Ghostwriter über die Gründung einer Zeitung zu schreiben, die nie erscheinen soll, finanziert von einem zwielichtigen Unternehmer (hinter dem man Silvio Berlusconi vermuten darf).

Die Redaktion des Blatts, das „unabhängig“ sein und „die Wahrheit berichten“, zugleich aber kein intellektuelles Niveau anstreben soll, ist eigentümlich besetzt: eine Klatschschreiberin, ein investigativer Skandaljournalist, ein Polizeireporter, ein Rätselredakteur, ein ehemaliger Korrektor, ein Undurchsichtiger. Berichtet werden soll nicht über Geschehenes (das jeder schon aus dem Fernsehen kennt), sondern darüber, was geschehen könnte – ein scheinbar absurder Ansatz, der jedoch im heutigen Spekulations- und Ankündigungsjournalismus weit verbreitet ist.

Man möchte meinen, es gehe Eco um Medienkritik: Es gibt viele Anspielungen auf bekannte und weniger bekannte Propagandalügen und Politskandale, Geldwäsche und Mafia, ein paar Ausführungen über Meinungsmache und die Instrumentalisierung von Zeitungen mittels Dossiers über unliebsame Zeitgenossen, aber all das bleibt nebulös und oberflächlich, die Ironie milde. Dazwischen ergeht sich der Autor in der Mailänder Stadt- und Baugeschichte, läßt seine Figuren seitenweise aus Reiseführern zitieren, über Gewicht und Beschleunigung von Autos, Mobiltelephone, weinende Madonnen, Kontaktanzeigen und die Geschichte diverser Malteserorden schwadronieren. Ausführlich widmet man sich den letzten Tagen des italienischen Faschismus und von Benito Mussolini, der – na klar – einen Doppelgänger hatte und von den Alliierten nach Kriegsende über den Vatikan nach Argentinien verschafft wurde, um bei Junio Valerio Borgheses rätselhaftem Staatsstreichversuch im Dezember 1970 zurückzukehren und die Macht wieder an sich zu reißen (was durch seinen plötzlichen Tod gescheitert sei).

Diesen Pudding aus Historie und Mythen verquirlt Eco mit der Geschichte der NATO-Geheimarmee Gladio und anderer Stay-behind-Organisationen, aber das ist als „Verschwörungstheorie“ nicht mehr arg reizvoll, weil der größte Teil davon längst historisch belegt ist und Eco ungeklärte Aspekte (etwa die Verwicklung deutscher Geheimdienste in den Terroranschlag auf das Münchner Oktoberfest 1980) gar nicht erst erwähnt (das Buch spielt 1992: keine gute Ausrede).

Das Ende kommt rasch: Der Redakteur, der all das zu ergründen sucht, wird ermordet, das Projekt eingestellt, der Erzähler flüchtet, da er sich als Mitwisser verfolgt fühlt; dann aber erfährt durch die bekannte BBC-Dokumentation die ganze Welt von Gladio, und mit einem Schlag ist alles gut oder vielmehr: belanglos. Das Leben geht weiter, nichts wird sich ändern. Eine banale Erkenntnis, für die es nun wirklich keine 230 Seiten gebraucht hätte.

geschrieben Ende Oktober 2015 für KONKRET

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