Frisch gepreßt #351: Ecco DiLorenzo & His Innersoul „Soultrain Babadee“

Ein dünner Mann geht durch die Stadt. Bisweilen bleibt er stehen und betrachtet versonnen belustigt das Treiben der Menschen, ihre Wichtigkeiten und Wimmeleien. Dann fremdelt er mal wieder, der dünne Mann, weil er nicht mittun mag und noch nie mochte bei dem Karussell der Konsumiererei momentaner Topprodukte, die sich ein paar Wochen lang neben den Kaufhauskassen und kaum ein paar Jahre später auf den Wühltischen stapeln.

Für einen solchen Circus ist ihm Musik zu wichtig, zu groß, zu erfüllend, zu teuer im klassischen Sinne, denn sein Leben ist Musik. Es könnte ihn mit leiser Wehmut erfüllen, daß in diesem Herbst jedermann und -frau und -kind das gesamte Familienmusikbudget in das zweite Wanda-Album investiert – das sicherlich ein sehr schönes Album ist, im Grunde aber dem ersten ähnelt wie ein Pfannkuchen dem anderen und sich durch übermäßigen Gebrauch ebenso schnell abnützen wird wie dieses. Hingegen kümmert es kaum jemanden, daß der dünne Mann soeben eine Platte gemacht hat, auf der die famoseste, meisterhafteste, mitreißendste, authentischste, schlicht beste Teufelsmixtur aus Soul, Funk und Jazz zu finden ist, die die in vielen Wassern gebadeten Ohren des Autors dieser Zeilen je gehört haben. Den (Autor) erfüllt dies tatsächlich mit einer gewissen Wehmut, den dünnen Mann nicht; denn mag seinen Blick auch gelegentlich eine milde Melancholie verklären: In seinen Adern fließt nicht schweres Blut, sondern reine, brodelnde Begeisterung.

Dazu gibt es eine Geschichte, die im Jahr 1963 beginnt, als der dünne Mann im Apollo Theatre im New Yorker Stadtteil Harlem als Garderobenjunge für James Brown ein paar Groschen verdiente und, als sein Arbeitgeber Pizza essen war, ein Mikro in die Hand nahm und vom elektrischen Schlag getroffen wurde, der seine Stimmbänder zum mächtigsten Gospelorgan diesseits der babylonischen Mauern stromte.

Auf Anraten von Otis Redding suchte er sich eine Band zusammen; nein, keine Band, sondern die wahnwitzigste Truppe von Soul-Funk-Fanatikern, die je auf Gottes Erdboden gelärmt hat: Schlagzeuger Wolfman Slim, einst Buchhalter in einem Wettbüro, den begnadeten Pianisten Cool Daddy G. (der schon als Kind Klavier spielen wollte, aber laut eigener Aussage zu faul war, den Deckel hochzuheben), den polnischen Lederjackendealer und Pillenkopf Piot Tictacowski, den er in der finsteren Exilantenbar Scwierigczuszreiwn in New Jersey auf deutsch ansprach und die Antwort („Was ist?“) in genialischer Treffsicherheit als „Bassist“ verstand, den in der balkanischen Esoterikszene als Guru verehrten Gitarristen Mr. Bubbles, das dreiköpfige Gebläse Motor City Horns aus Tom Shreve, Tom-Toot-in-the-Tin und Big Boy Godzilla, das er (u. a.) Frank Sinatra ausspannte, sowie drei Megawattbatterien in Gestalt der DiLorettes-Sängerinnen Miss Donna Weather, Miss Sugar Kane und Miss Toffy Faye

Freilich: alles Humbug, eine frei erfundene Kolportage (die auf der Webseite der Band genußvoll und detailfreudig weitergesponnen wird). Aber eben nicht doof, sondern witzig und charmant, wie so gut wie alles, was der Hauptprotagonist in seinem bahnen-, kurven- und nischenreichen Künstlerleben so macht: Unser dünner Mann ist selbstverständlich Ecco Meineke, als Kabarettist einer der liebenswertesten, aber auch begnadeter Schauspieler, Geschichtenerzähler, Identitätenschöpfer und eben Musiker, der all diese Berufungen gerne verbindet, weil ihm sein „echtes“ Ich (als das er mit dem Liederalbum „Der dritte Montag“ 2000 leider nicht den verdienten Ruhm erntete) halt nicht genügt.

Authentizität aber ist keine Frage der Her- oder Hinkunft, der Haut- oder Augenfarbe, keine Frage der Person, sondern schlicht eine Frage der Musik, die in und aus ihr lebt. Und daß auf diesem Album die famoseste, meisterhafteste, mitreißendste, authentischste, schlicht beste Teufelsmixtur aus Soul, Funk und Jazz lebt, die der Autor dieser Zeilen je gehört hat – diesen Satz hat nicht der dünne Mann erfunden. Der läse ihn sicherlich errötend und sanft lächelnd und hätte dabei schon wieder was Neues im Sinn.

Die Kolumne „Frisch gepreßt“ erscheint alle vierzehn Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

 

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