Frisch gepreßt #345: The Legends „It’s Love“

Das ist nicht nur im Sommer so, aber da besonders: daß einem das sogenannte Leben, sobald man sich den Adern und Organen der Stadt und der Welt nähert, mit metallischer, säurescharfer, grell blendender Härte entgegenknallt und einen anpeitscht, als wäre es und alles ein globaler Wettbewerb im Brüllen, Schlagen, Brettern. Als ginge es darum, mit allen Mitteln und einem sämtliche Sinne betäubenden Feuerwerk eine Sehnsucht zu betäuben, die im Grunde jedem und allem innewohnt, die aber offenbar irgendwie nicht hineinpaßt in den verbissenen Mechanismus, dem sich angeblich alles einpassen muß: nach Beständigkeit, Ruhe, Wiederkehr; danach, herauszufallen aus dem irren Rasen, am Rande liegenzubleiben, ohne deswegen von einem Hochhaus zu springen oder Amok laufen zu müssen.

Damit man merkt, wie leicht das geht, das Innehalten, Herausfallen, Liegenbleiben, Loslassen, braucht es Raum und Zeit. Leere, Stille, Einsamkeit, einen Himmel, an dem sich mal nichts rührt, eine Landschaft, durch die sich nichts bewegt. Außer ein paar Tönen, die der Wind wie Flocken ohne Ziel dahinweht. Schmilzt man hinein in diese Szenerie und wird ein Teil davon, stellt man fest, wie sich der Krampf löst, die Sorgen und Bestrebungen, Nöte, Ziele, Ansprüche, Forderungen, Pflichten hinauslaufen aus einem, als hätte jemand einen Stöpsel an der Ferse gezogen.

Manchmal muß auch was vermeintlich Schlimmes passieren, das einen gewaltsam herausreißt. Bei Johan Angergård, dem „Chef“ (nicht nur) der schwedischen Ein-Mann-Popband The Legends – die mit ihrem typisch schwedisch retropoppigen Debütalbum „Up Against The Legends“ fast das heiße Superding von 2003 geworden wäre, war der Anlaß für die fünfte Platte (und die erste neue seit sechs Jahren) (wie um zu beweisen, daß Klischees die konstanteste Konstante in der Geschichte der Menschheit sind, weil sie sonst ja keine Klischees geworden wären): eine Trennung. Klassiker: Lebensgefährtin wechselt Haus und Mann, Tochter bleibt dazwischen hängen; klingt nach Geschrei, Quälerei, nach „Wenn ich jetzt ein Musikinstrument in die Hand nehme, werde ich alles zerfetzen!“

Ist aber ganz anders und anders herum auch nicht die trübselig zelebrierte Sehnsuchtsmelancholieabrechnung, die sich selbst in den Sumpf zieht und andere Menschen dazu bringt, ihre Schuhe anzustarren. Sondern ganz wenig, bescheiden, fast unauffällig schön. Ein Album wie ein Himmel, an dem sich nichts rührt, bei dem man nicht mal sagen kann, ob er bleigrau oder strahlend blau ist, eine Landschaft, durch die sich nichts bewegt außer ein paar Tönen, Melodielein, die eine sanfte Brise herumflocken läßt.

Ein Album, das in der Welt, von der wir eingangs sprachen, nicht auffallen wird. Aber wem es auffällt, der fällt zumindest zeitweise heraus, bleibt liegen, läßt los und wird selbst zur schwebenden Flocke. Und wenn man nach dem (in irdischen Maßstäben gemessen) kurzen (sieben Songs!) Ausflug wieder zurückkehrt in den konkreten Sommer, hat sich einiges verändert: Dem nächsten Plakat, das einen ankläfft, man solle das Maul halten und irgendwas tun oder werden oder sich holen und zwar sofort, dem streckt man nicht mehr die gebleckten Fuck-you-Zähne oder den Mittelfinger entgegen, sondern schenkt ihm ein gelassenes, fröhliches, höchstens ein winzig kleines bißchen mitleidiges Lächeln.

Die Kolumne „Frisch gepreßt“ erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

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