Frisch gepreßt #344: Pete Townshend „Truancy – The Very Best“

Ach, ist sie nicht schön, die Zeit der Schafskälte, in der man, während es draußen stürmt und schüttet und die Wolkenspedition ihre Tiefladerflotte aus ozeanischem Dunkelgrau in einem gewaltigen Stauchaos von Küste zu Küste tuckern lässt, müßig dasitzen kann und ohne schlechtes Gewissen gegenüber Fräulein Sonne (i. A.) in virtuellen Plattenkisten wühlen, dies und das herausziehen, über dieses und jenes stolpern, von dessen Existenz man das alte Männlein im Hinterstüberl des Zufallsgedächtnisses munkeln gehört hat? Ist sie.

Es ist dies auch die Zeit des blitzartigen Gedenkens, wo unscheinbare, in der Nebelflut der Zeiten scheinbar ertrunkene Momente plötzlich wieder eintreten, einen von den Haarspitzen bis zum Zehennagel ausfüllen und Musik nötig machen, die längst verhallt und oft zu Recht vergessen ist.

Zum Beispiel der Moment in den noch frühen 80ern, als man, nicht geheilt und auf ewig nicht zu heilen von dem unfassbar geilen Buntkrawall, mit dem The Who von 1965 bis 1971 die Welt in grelle Scherben schlugen und ein Loch im Universum aufrissen, Pete Townshends Soloalbum „All The Best Cowboys Have Chinese Eyes“ aus einer Ramschkiste zog und sich, während der weitgehend belanglose Konsensrock durch die Wohnung flockte, fragte, was wohl mit den eigenen Augen dieses Mannes passiert war (es war nur Heroin, spätes Nachflackern jugendlicher Trotzrenitenz, die sich nicht abfinden mochte mit dem „Classic Rock“-Status und den Demütigungen, die die Welt ihm und er sich selbst zufügte).

So war das damals: Mochte er noch so ausdauernd Mist produzieren – Townshend war Townshend und ein Album mit seinem Namen drauf daher Hörpflicht, und irgendwas fand man dann doch (auf dem nächsten, „White City“, fand man nichts mehr, dafür war es aber ungeheuer erfolgreich), hier: „The Sea Refuses No River“, bei aller Weinerlichkeit ein Echo der urgewaltigen Akkordflut, deren Tabula-rasa-Wucht Stücke (Songs?) wie „Baba O’Reilly“ und „Won’t Get Fooled Again“ Ewigkeit verliehen hatte.

Pete, ach, Pete. Ich habe ihn mal getroffen und wollte über „Quadrophenia“ sprechen, das Grande Finale seiner Gesamtkunst, dem nach 1973 nichts Wesentliches mehr folgen konnte; aber er beharrte darauf, mir ein lächerliches Musical ans Herz legen zu wollen, das damals jemand aus (vermutlich) „Tommy“ (ewig überschätzt) geschreinert hatte. So marschierte er stets beharrlich an der eigenen Größe vorbei, verrannte sich in Getue, hasste seine nach Keith Moons Tod nicht mehr existente Band und ließ sich nach jedem Ende zu einem neuen „Comeback“ überreden, weil er nicht einsehen wollte, was er längst eingesehen hatte.

Drum muss man ihn halt irgendwie lieben, den rotzfrechen Lümmel im Körper eines gediegenen Spießers, den renditegierigen Erzkommunisten, den zerwuschelten Hippiehasser und hyperintelligenten Dummkopf, der den entscheidenden Punkt öfter getroffen hat als jeder andere, sich aber die meiste Zeit verzettelte wie niemand sonst.

Und man hört ihn wieder, an solchen Tagen, von „Pure And Easy“ (1972, süß und naiv wie ein Yes-Demo) über seine Zusammenarbeit mit dem armen Ronnie Lane (hier mit drei Tracks von „Rough Mix“ aus dem Punkwinter 1976/77 vertreten) bis hin zu der irgendwie rührenden Sülze, die er seinem Guru Meher Baba in den Bart flocht. Bis hin zu …

„The Very Best“? Schmarrn, das gibt es längst, da steht „The Who“ drauf; dies ist halt wieder mal eine Kruschkiste, ein Sammelsurium von Halbfertigem, nie fertig Gewordenem, Fehlgelaufenem, das der Eigensinn nicht im Schrank lassen mochte, possierlichen Fettnapftritten und liebenswerten Abwegen … bis hin, eben, zu „The Sea Refuses No River“, was ein schönes Motto gewesen wäre, aber vielleicht zu pathetisch, während „Truancy“ zwar nach Wahrhaftigkeit klingt, aber nichts weiter ist als Schulschwänzerei. Jetzt ist er 70, der Pete, und das trifft’s aber immer noch, mehr vielleicht als das alte Couplet aus „April’s Fool“ (das hier fehlt): „We used to roam so freely / It’s been so long / I took my dreams to bed now / Where they belong.“

Die Kolumne „Frisch gepreßt“ erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

 

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