Soweit ich weiß, sind Krähen und Menschen die einzigen Lebewesen auf diesem Planeten, die ab und zu Ideen haben. Andere Viecher lösen ihre Probleme anders: Hunde bellen sie so lange an, bis sie weggehen oder durch etwas Eßbares ersetzt werden; Katzen legen sich daneben, schlafen ein und haben beim Aufwachen vergessen, was das Problem war (und alles andere auch). Ameisen tragen einfach alles weg oder fressen es zusammen. Hasen haben keine Probleme, solange irgendwo was Grünes wächst, und wenn sie doch mal ein Problem haben, merken sie’s erst, wenn es zu spät ist.
Der Unterschied zwischen Menschen und Krähen ist, daß die Ideen der Rabenvögel meistens recht pfiffig und elegant sind, während die Sachen, auf die der Mensch so kommt, im Normalfall ziemlich ausarten.
Zum Beispiel hat sich der Mensch irgendwann mal in den Kopf gesetzt, daß er Gold haben will. Weil Gold recht wertvoll ist, ist es auch recht selten (oder umgekehrt), aber wenn sich der Mensch mal was in den Kopf setzt, setzt er umgehend auch sämtliche Hebel in Bewegung, und dann kommt er auf Ideen: Man könnte Gold, wo es so wenig davon gibt und man das wenige nur durch Mord, Ausbeutung oder schwere Schürfarbeit erlangen kann, doch einfach aus etwas anderem selber herstellen. So kam Hennig Brand vor dreihundertfünfzig Jahren auf die Idee, ein Bataillon Soldaten in einen riesigen Tank brunzen zu lassen und den Seich einzukochen – schließlich ist Urin goldgelb, gelt? (Ebenso wie Bier, könnte man einwenden, aber wer genug Bier hat, braucht kein Gold und kommt nicht auf blödsinnige Ideen.)
Als Herr Brand seine Hektoliter von Rohmaterial (das, könnte man einwenden, zu einem nicht unwesentlichen Teil ursprünglich Bier gewesen war, aber mei) ordnungsgemäß zusammengeköchelt hatte, verblieb ein schwarzer Baz, was den olfaktorisch unerschrockenen Alchemisten nur milde enttäuschte. Er rührte einfach Sand hinein – Idee! Idee! – und brannte und glühte das Ganze noch mal anständig. Und siehe da: Schon kam ein Destillat heraus, das zwar kein Gold war, aber immerhin im Dunkeln leuchtete. Ein paar hundert Jahre später bauten Rüstungsfabrikanten aus dem Zeug Phosphorbomben und warfen sie auf Häuser und Menschen: Das Zeug war also wohl noch mehr wert als Gold, aus dem man nichts bauen kann, was Menschen umbringt.
Jetzt hüpfen wir mal in die jüngere Geschichte, wo es auch Probleme gab (und gibt), für deren Lösung man Ideen haben kann. Zum Beispiel stellte sich in den frühen siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts heraus, daß die reichen Menschen immer langsamer noch reicher wurden, weil das unverschämte Pack der Ausgebeuteten immer weniger Lust hatte, sich ausbeuten zu lassen, sondern selber ein bisserl Freude am Leben wollte und Forderungen stellte (Lohnerhöhung! Rentenerhöhung! Steuererhöhung!), die die Kerle mit dem Gold und den Phosphorbomben angesichts von Terrorismus, Sozialismus und anderen wilden Zeiterscheinungen zähneknirschend auch noch teilweise erfüllen mußten.
Ein Saustall! brüllten sie da, und mal wieder hatte jemand eine Idee: Man müsse, lautete sie, ja nur denen, die den ganzen Zinnober erarbeiten, wieder mehr wegnehmen, es den anderen (Gold und Phosphorbomben) geben und eine gute Ausrede finden. Zum Beispiel daß dann, wenn die Reichen immer reicher werden, irgendwann auch die Armen immer reicher werden. Das nannte man „Trickle-down effect“.
Das Prinzip geht also ungefähr so: Mama backt einen Obstkuchen, Papa ißt den ganzen Kuchen allein auf, weil: Wenn Papa so richtig den Ranzen voll hat, werden irgendwie auch Mama und die Kinder satt, vom Zuschauen oder so. Außerdem ist jetzt Sommer, da gibt es jeden Tag mehr Obst, und wenn Mama und die Kinder ordentlich den Gürtel enger schnallen, dann dauert dieser Sommer ewig. Dann kommt kein Winter mehr, und die Welt ist ein Paradies, in dem übrigens – dank „Chancengerechtigkeit“ (wer diese Übelparole erfunden hat, weiß ich nicht mehr; ich vermute: SPD, CDU, CSU, FDP oder die „Grünen“) – jeder Papa werden kann, wenn er sich tüchtig bildet und anstrengt.
Freilich: ein Riesenschmarrn. Die dümmste Idee seit ungefähr zweihunderttausend Jahren. Ich stelle mir heute noch gerne das Gesicht von Margaret Thatcher, Ronald Reagan und ihren „Beratern“ vor, als sich herausstellte, daß die Ausgebeuteten (Mama und Kinder) von Fernseh, Presse und anderen Verblödungsmechanismen so wirksam verblödet waren, daß sie den Quatsch nicht nur glaubten, sondern ihn sogar um den Preis weiterer Ausbeutung und Verarmung mit Haut und Haar und bis heute verteidigen.
Tja. Und dann macht es halt irgendwann mal leise „Bumm“ oder „Zschrumpf“, und der Papa hat so viel Obstkuchen in sich hineingeschaufelt, daß es ihn zerreißt, und die Mama und die Kinder stellen fest, daß der Papa eigentlich ziemlich scheiße aussieht in diesem Zustand und daß vor allem sie langsam ziemlich Hunger haben und krank sind und am Verrecken und daß das ganze Haus vergammelt und verschimmelt und am Einstürzen ist, während sich der Papa in seinem Privatrefugium inzwischen die Wände mit Gold tapezieren und Diamantkronen in die Zähne drehen läßt.
Dann gehen sie zum Beispiel her und wählen in Griechenland eine Syriza-Regierung, weil es so nicht weitergehen kann, weil Kinder sterben und Rentner verhungern und nichts mehr funktioniert und fast jedem fast alles weggenommen wird, um es in den Schlund deutscher Banken zu kippen, die mit den ungeheuren Massen von Geld längst nichts mehr anzufangen wissen und deswegen alle möglichen Fantasy-„Märkte“ erfinden, um das Zeug zusammenzuköcheln, ohne daß irgendwas draus wird, was im Dunkeln leuchtet.
Aber mei, eine Idee ist eine Idee, und die muß bis zum bitteren Ende durchgefochten werden. „Bild“ und „SZ“ sorgen mit täglicher Einpeitschung dafür, daß weiterhin die Ausgebeuteten hier auf die Ausgebeuteten anderswo sauer sind und sich gegenseitig vorwerfen, immer noch nicht alles den deutschen Banken gegeben zu haben, und wenn dann endlich die deutschen Banken alles, aber auch wirklich alles haben und der ganze Kontinent ein einziger Haufen Elend, Krieg und Verschimmelung mit einem winzigkleinen Türmchen aus Gold und Diamanten in der Mitte ist (mit einer Hundehütte davor, aus der Marc Beise immer noch herausbellt, es müßten endlich die Spitzensteuersätze gesenkt werden, damit etwas voran und es allen besser gehe) …
… dann werdet ihr vielleicht bemerken, daß seit geraumer Zeit immer mehr Krähen über dem gärenden Misthaufen kreisen. Ich vermute, die haben eine Idee.
Die Kolumne „Belästigungen“ erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.