Krach und Wahn (Popmusiktexte aus vielen Jahren) #2: The Futureheads „The Futureheads“ (2005)

Weil der Zeitgeist zur Zeit so geistert, druckte ein englisches Musikmagazin neulich eine Liste der 20 größten „Post-Punk“-Songs: „Permafrost“ (Magazine), „I Am The Fly“ (Wire), „I Found That Essence Rare“ (Gang of Four), „Complicated Game“ (XTC) – im emotionalen Gedächtnis einzementierte Unwiederholbarkeiten musikalischen Wagemuts aus der Aufbruchszeit von Herbst 1978 bis Herbst 1979, als im Windschatten der implodierten Punk-Rakete soviel Unerhörtes und Unfaßbares auf den Plattenteller kam wie nie zuvor und nie danach. Joy Division, Siouxsie & The Banshees, Cabaret Voltaire, Josef K, Suicide, Devo … Dekoriert ist die Liste mit zwei Photos: eins von den Talking Heads, eins von einem Quartett aus Sunderland, dessen Mitglieder damals noch nicht mal geboren waren – The Futureheads („Meantime“, Platz 7). Wie geht jetzt das?

Das geht, fand die Redaktion, weil die Futureheads den „wahren Geist“ des Post-Punk einfangen, der weniger (aber doch auch) mit eckigen-schroffen Gitarrenriffs zu tun habe als damit, die alltägliche Heuchelei unserer Welt aufzuzeigen und den richtigen Sound dazu zu finden. So kann man das vielleicht ausdrücken. Oder anders: Bei guter Musik geht es um Inspiration, Genie, Interaktion, die Umsetzung von Energie in Töne; gute Bands zeichnet aus, daß aus der Gruppendynamik etwas entsteht, was niemand allein und niemand sonst erzeugen oder nachahmen könnte, obwohl es so einfach klingt: ein paar Gitarrenakkorde (eckig-schroff), rasende, hypnotische Rhythmen, Gesangsmelodien, die wie Koboldbanden durch das Gestrüpp aus merkwürdigen Harmonien hüpfen und tauchen, und … na ja, dies und das – man kann es eben doch nicht erklären, sonst könnte man es ja auch nachmachen.

Aus Not werden die Futureheads verglichen; die Vergleiche sind alle unfair: Die frühen XTC wirken dagegen wie eine lahme Beatles-Revival-Combo, Gang of Four wie ein Gitarrenworkshop von K-Gruppen-Hippies, Franz Ferdinand wie eine zweitklassige Mainzer Karnevalstruppe, Devo wie Agitprop-Kabarett. Ein um Gegenargumente bemühter Bekannter bezeichnete die Band als „Streber“. Ganz falsch: Es handelt sich, um im Bild zu bleiben, um die unverschämten Kerle aus der letzten Bankreihe, die alles viel schneller kapieren als der schlaueste Lehrer, die Schulstunden dazu benützen, schrillen Unfug zu treiben und Antiwitze zu erfinden und sich nicht mal herablassen, Hochenglisch zu sprechen (der Sunderland-Dialekt klingt wie eine Art Anglo-Ostbaierisch). Das hat die biedere deutsche Plattenindustrie verschreckt, die so was nicht versteht und sich erst jetzt, nach fast einem Jahr, durchringen ließ, das Album auch hier zu veröffentlichen.

Guter Witz übrigens hat nicht immer mit Lachen zu tun. Und die besten Witze erzählen Leute, die selber nicht lachen. Die Futureheads hat öffentlich noch kaum je einer lachen gesehen.

geschrieben Anfang Mai 2005 für KONKRET

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