(Aus dem tiefen Archiv) Belästigungen #218: Zwei Großhirne auf dem Weg durchs Weltgedärm

Zwei Herren, die in Deutschland leider als recht bekannt gelten müssen, schockierten kürzlich das Gemeinwesen mit Ungnade: „Wenn ich jünger wäre und diese Aufgabe nicht hätte, wäre ich längst weg!“ tönte ein Herr Döpfner, dessen „Aufgabe“ darin besteht, Vorstandsvorsitzender des Springer-Konzerns zu sein. Recht hat er, möchte man meinen: Wenn der Mann sich nicht seine jüngere Lebensphase damit um die Ohren geschlagen hätte, durch den Darm der Axel-Cäsar-Witwe zu krabbeln, bis er es endlich hineingeschafft hatte ins Allerheiligste der Blut-und-Busen-Presse, – dann wäre er mit einiger Sicherheit tatsächlich weg. Vom Fenster.

Gemeint hat der Döpfner aber was anderes, in dem ihm Frank Schirrmacher, sein etwa gleichaltriger Kumpan von der FAZ (der sich auf dem Weg dorthin seinerseits durch die Eingeweide von Joachim Cäsar Fest wühlen mußte), bestätigend vorausgeeilt war: Die beiden, die zu den Mittätern der ekelhaften „Du bist Deutschland!“-Kampagne gehören, wollten wohl auch mit dieser Kampagne genau dies sagen: Weil Deppen wie du Deutschland sind, halte ich es hier nicht aus! Und wenn ich nicht so unglaublich wichtig wäre, daß ohne mich alles zusammenbräche, dann hätte ich mich längst verzupft!

Wohin? könnte man fragen. Aber freilich: Beide – Döpfner und Schirrmacher wie die meisten Insassen des gesellschaftlichen Luxuspenthouses, wo das Gejammer und Geklage und Gewimmer und Gebrüll über Stillstand, Verkrustung und so weiter den ganzen Tag und das ganze Jahr nicht abschwellen will, egal wieviel Champagner man ihnen in die Rübe gießt – meinen, einen sozusagen geburtsrechtlichen Anspruch auf eine „Spitzenposition“ samt Stadtvilla, Landhaus, Chauffeur und Leibeigenen sowie Medienlakaien, die ihnen täglich ein Mikrophon zum Meinungmachen hinhalten, zu besitzen, den sie jederzeit überall in der (nicht zuletzt deshalb „globalisierten“) Welt wahrnehmen könnten. Wenn der Deutsche nicht spurt und springt, ja mei, dann wird eben in Singapur, England oder der Schweiz weitergewichtelt. Golfspielen, wichtig aussehen, frühstücken, meeten, pathetischen Müll schwafeln und Leute entlassen kann man schließlich inzwischen an fast jedem Ort der Welt. Notfalls läßt man halt Roland Berger einfliegen.

Wir wollen jetzt gar nicht hämisch sein, sondern lieber mal abwägen, eine Gewinn-Verlust-Rechnung anstellen. Erstens Döpfner: Daß der seinen Schmutzkonzern samt Bildzeitung beim Auswandern mitnähme, ist unwahrscheinlich. Da stecken schließlich noch ein paar recht mächtige Herrschaften dahinter, denen es nicht schwerfiele, den einen Streber durch einen anderen Galionsbubi zu ersetzen. Der würde wahrscheinlich dasselbe Stroh daherreden wie Herr Döpfner, und auch ansonsten täte sich ungefähr nichts ändern. Fazit: ein herzliches Lebewohl! Zweitens Schirrmacher: Der war einst stolzer Panzerfahrer und hat, weil er sich nun mal für die Literatur zuständig wähnt, in einem spätjugendlichen Anfall von noch größenwahnsinnigerem Größenwahn als sonst vor vielen Jahren versprochen, eine umfassende „Bundesliteraturgeschichte“ zu verfassen, die vom Eichborn-Verlag auch gleich kräftig angekündigt und betrommelt wurde: Da werde der Möchtegern-Ranicki 320 Seiten lang „auf die deutsche Literatur seit 1945 zurückblicken“ und dabei „Thesen vertreten, die uns die deutsche Nachkriegsliteratur mit neuen Augen betrachten lassen“. Dann ist ihm aber ein- oder aufgefallen, daß er dafür erstens etwas von Literatur verstehen und zweitens am Ende auch noch irgendwie arbeiten oder wenigstens schreiben müßte. Und so haben wir uns leider umsonst auf die „neuen Augen“ gefreut, die uns Herr Schirrmacher einpflanzen wollte: Übrig blieb vom Großprojekt nur eine vergebene ISBN-Nummer und eine hübsche Spaßrezension im Internet, in der ein Herr „aus Posemuckel“ klarstellt: „So konnte nur ein Mitspieler im großen Kampf um Wahrheit, Recht und Meinungsführerschaft schreiben!“ Nämlich gar nicht. In etwas anderem Licht erscheint so auch ein Satz, den Schirrmacher einst auf die „68er“ münzte: „Plötzlich konnte nicht nur jeder lesen, sondern auch schreiben.“ Klar, daß der Herr die „68er“ haßt und fürchtet: Anstatt mit großdeutschen Pompgesten um sich zu pfeffern, haben die ein Hirn gehabt oder wenigstens ab und zu versucht, eines zu bilden, igitt!

Dennoch gibt es Bücher, die den Namen Schirrmacher tragen. Zum Beispiel „Marcel Reich-Ranicki. Sein Leben in Bildern“ (die freilich nicht Schirrmacher selbst geknipst hat, weil das von innen nicht geht) und „Als sei die Welt erwacht. Zeitzeugen erinnern sich zum 8. Mai 1945“. Bei letzterem freilich mußte er auch nicht wirklich schreiben, sondern nur zuhören und abtippen, zusammen mit Stefan Aust. Na ja, abgetippt hat genaugenommen wohl der „Herausgeber“ Michael Kloft. Und weil wir uns sowieso denken können, wer sich da erinnert – Joachim Fest, Marcel Reich-Ranicki und ein paar andere – fragen wir uns lieber: Wie erinnert man sich „zu“ etwas? Und wo war Schirrmacher, als in der Schule erklärt wurde, daß „Als sei …“ der Konjunktiv für die indirekte Rede und aber auch nur für die indirekte Rede ist? Und schon sind wir ganz froh, daß Schirrmacher so wenig schreibt, und noch froher wären wir, summa summarum, wenn er sich entschlösse, seinen Döpfnerkumpel einzupacken und gemeinsam nach sonstwo abzudampfen, um zum Beispiel der nordostmongolischen Nachkriegsliteratur neue Augen zu verpassen, sich zum 1. April 1704 zu erinnern, eine „Du bist Grönland!“-Kampagne zu starten, den Aufbau der Blut-und-Busen-Presse in Kirgisien zu überwachen oder in dortige Witwen und Großkotzdärme hineinzukriechen.

Und wenn der Exodus der Rumpelhirne ein paar Jahre anhält, könnten wir eines Tages anfangen, darüber nachzudenken, ob wir nicht vielleicht doch „Deutschland“ sind.

(geschrieben von 29. Oktober bis 3. November 2005, leicht gekürzt gedruckt am 9. November; enthalten in dem Buch Das fliegende Irrenhaus. Belästigungen 201-300 )

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