Belästigungen #432: Iron Majdan: von Revolutionen und ihren Leberwürmern

Wenn Lebewesen Dinge tun, ist nicht immer ganz klar, wieso und wozu, besonders wenn es Dinge sind, die irgendwie inkonsequent, wirr oder komplett wahnsinnig wirken. Zum Beispiel wirkt es komplett wahnsinnig, wenn eine Maus vor Licht, Geräusch und sämtlichen anderen Phänomenen und Sensationen der Außenwelt panische Angst hat, nur vor einer Katze plötzlich nicht mehr. Wenn sie sich ihr vielmehr fröhlich entgegenwirft, als wäre das Krallenviech der langersehnte Erlöser aus dem Westen.

Das passiert aber, regelmäßig und zwangsläufig. Schuld daran ist ein anderes Lebewesen, das in der Maus drin lebt und west und gerne in die Katze hinein möchte, und weil es selber keine Beine hat, benutzt es die Maus als Vehikel, indem es ihr durch gezieltes Anbohren bestimmter Hirnwindungen (sorry, Biologen, ich weiß es nicht besser) den dringenden Wunsch, das unstillbare Bedürfnis einpflanzt, von der Katze mit Haut und Haar einverleibt zu werden. Manchmal gelangt das fiese Wesen – es heißt übrigens Toxoplasmose – auf dem Umweg über die Katze auch in einen Menschen hinein. Der verunglückt dann dreimal häufiger mit dem Auto. Wahrscheinlich weil der entgegenkommende Lastwagen so zutraulich schnurrt.

Es gibt erstaunlich viele Wesen, die solche Strategien verfolgen, und erstaunlich viele andere, die drauf reinfallen: Ameisen, die sich an Grashalmspitzen festbeißen, damit die Kuh sie schluckt (und den Leberwurm, der die Ameise steuert, gleich mit). Fische, die sich von blinden Würmern ohne Hirn suggerieren lassen, sie müßten unbedingt an der Wasseroberfläche herumturnen (weil die Würmer scharf auf das Innere von Vögeln sind, die scharf auf depperte Fische sind). Raupen, die auf Baumwipfel klettern, damit sich der Nährschleim, zu dem sie von Parasitenkindern zersetzt werden, besser verteilen kann. Kakerlaken, die sich widerstandslos von Wespenbabies aufessen lassen (nachdem ihnen die Wespenmama etwas Gift und damit eine fixe Idee injiziert hat).

Und, vielleicht, auch Menschen, die sich dem alles vernichtenden Turbokapitalismus des erwähnten Erlösers aus dem Westen in den Rachen schmeißen, weil ihnen mediale und propagandistische Leberwürmer den Floh ins Ohr gesetzt haben, es werde alles besser werden, wenn der sie erst mal in seinen Entsafter gestopft habe. Dazu zetteln sie dann gerne mal eine „Revolution“ an. Zum Beispiel damals in der DDR, wo so lange und intensiv Westfernsehen geglotzt wurde, bis noch das letzte Mecklenburger Hüttenbäuerlein den dringenden Wunsch, das unstillbare Bedürfnis empfand, unverzüglich eine Bahnhofsmüllpizza zu verschlingen und in einen Club Mediterranee verschifft zu werden und dafür notfalls seine gesamte Existenz von der Deutschen Bank zerschreddern zu lassen.

Ist diese moderne Form der „Revolution“ dann vollbracht, ist vier Wochen später alles beim alten, außer daß die Oligarchen neue Geschäftspartner und die Regierungsbüttel neue Namen und Gesichter haben. Die allerdings etwa in der Ukraine gerne mal die vorhergehenden sind und bei Bedarf (wenn die Leute wieder sauer werden, weil sie nun noch mehr entsaftet werden) gegen die vorvorhergehenden ausgetauscht werden.

Möglicherweise haben wir auch noch nicht ganz verstanden, was sich seit einigen Jahren in Europa und weiter südlich abspielt – und zwar fast immer auf Plätzen (was übrigens auf ukrainisch „Majdan“ heißt, weshalb die gerne benutzte Bezeichnung „Majdan-Platz“ ungefähr so sinnvoll ist wie „Baugebäude“, „Trinkgetränk“ und „Bildzeitungslüge“). Da rüpeln zum Beispiel monatelang Millionen von Griechen und Spaniern gegen ihre korrupten, kaputten, fiesen Regierungen, die ihnen die Existenz vernichten, um internationale Großbanken zu „retten“, und die sie noch nicht mal gewählt haben und auch nicht wählen durften, weil sie ihnen von der EU als sogenannte „Experten“ mehr oder weniger vor die Nase geputscht wurden.

Weiter südlich und östlich passiert ähnliches, allerdings mit einem kleinen Unterschied: Hier putscht die EU mehr oder weniger die Regierungen nicht hin, sondern weg, und zwar meistens nachdem geheimnisvolle schwarzgekleidete Scharfschützen aufgetaucht sind und auf dem jeweiligen Platz ein Massaker angerichtet haben. Woher diese Scharfschützen kommen und wer sie bezahlt, wird nie geklärt; statt dessen stürmt das Volk die arschluxuriösen Paläste seiner korrupten Exdespoten, die zwar gegen die 3.000-Zimmer-Villen US-amerikanischer Börsengewinner höchstens schnuckelig wirken, als Ausweis von Despotismus und Korruptheit jedoch allemal hinreichen: Ob so ein „Despot“ eventuell irgendwann mal frei gewählt worden ist, interessiert dann niemanden mehr.

Blasen wir das nicht zu sehr auf, seien wir lieber ehrlich: Was in der Ukraine, in Ägypten, Libyen, Tunesien, Algerien, Syrien etc. genau passiert und warum, das weiß und versteht keiner von uns. In Griechenland, Spanien, Italien, Irland und – o ja – Island (das sich als einziges EU-Land der Verelendung zugunsten der Banken widersetzte, deswegen als einziges gut dasteht und aus der Berichterstattung folgerichtig komplett ausgeblendet wird) wissen wir es recht genau. Es hilft aber wenig.

Oder vielleicht hülfe es doch, wenn wir uns ein bißchen genauer mit Leberwürmern und Hirnparasiten beschäftigten und deren Strategie studierten. Vielleicht könnten wir dann zumindest stellenweise besser unterscheiden zwischen Ursache und Wirkung, zwischen Vernunft, Massenhysterie und Irrsinn. Und zwar bevor wir uns mit festgekrampftem Kiefer auf einer Grashalmspitze wiederfinden, die Kuhzunge heranschwingen sehen und keine Ahnung haben, wie und wieso wir hier hingeraten sind, außer: daß wir es unbedingt selber wollten, aus einem dringenden Wunsch, einem unstillbaren Bedürfnis heraus.

Die Kolumne „Belästigungen“ erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

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