Belästigungen #431: What’s so funny about Peace, Love, Wahlkampf & Understanding?

Der soeben absolvierte Kommunalwahlkampf hat eine eigentümliche Stimmung (wahrscheinlich nicht nur) in mir hinterlassen. Zwar war vieles wie üblich: Das neoliberale Bleichhendl, das sich im Namen der FDP ein paar Wochen lang als „OB-Kandidat“ bezeichnen durfte, reckte seinen Sozialsargnagelkragen gewohnt forsch und wettbewerbsgeil aus dem Plakat, während die grüne Laugenstange zach-drahtig gestylt Prima-Klima-Parolen für die Halligallimeute der Hipster-Kreativlinge absonderte, die am liebsten noch das letzte stille Örtchen der Stadt zur tobenden Eventarena umbauen wollen. Die diversen Naziparteien blähten wie automatische Hupen ihr Anti-Moslem-Kontra-Kriminalität-Muezzingeschrei zu neuen Absurditätsrekorden auf, weil es ihnen offenbar großen Spaß macht, ihre Plakatständer mit Kehrschaufel und Besen zusammenzukehren und sich von mittelgroßen Menschenmengen öffentlich verlachen zu lassen. Der Linken hat wahrscheinlich niemand Bescheid gesagt, daß Wahlkampf ist, und so konnte sie nur noch schnell ein paar alte Zettel mit Aufschriften wie „sozial“ irgendwo dazwischenkleben, wo Platz war, weil wieder mal jemand einen Naziparteiplakatständer zu Fetzen und Bröseln verarbeitet hatte.

Aber mittendrin in dem harmlosen Getöse, das im Grunde sowieso nur Radfahrer interessierte, die alle zwei Meter von so einem Parolendings gewatscht wurden, gaben sich die zwei Kandidaten, um die es eigentlich ging, größte Mühe, jede Art von Wahlkampf gänzlich zu vermeiden, indem sie sich als vorösterliche Fondanteier in sahnigen München-72-Hippiepastellfarben photographieren ließen und Sprüche dazuschrieben, vor denen, wer sie zufällig wahrnahm (da sie gar so geschmeidig zwischen Frühlingswiese und Blauhimmel gecremt waren), in stiller Verwunderung verharrte: „Laßt uns neu denken“, empfahl der Mann der vermeintlich betonkonservativen Partei, die traditionell im Verdacht steht, derartige Post-68er-Landkommunenslogans mit reflexhaftem Haberfeldtreiben zu beantworten. Der andere wiederum, dessen Laden einst versuchte, sich als zentrale Anlaufstelle für Aufbruch und Fortschritt zu inszenieren, mochte („fordern“ kann man das nicht nennen), daß München München und überhaupt alles bleibt, und fügte zwecks eventueller Präzisierung ein mildes, gleichwohl ebenso surreal Woodstock-grooviges „Ja!“ zu schwammigen Themenwolken wie Familie, Beruf und öffentlichem Nahverkehr hinzu.

„Ja zum Beruf“ hier, „Ich habe viel gelernt, danke“ dort – was ist nur aus der sogenannten Politik geworden, fragen wir uns verwundert und gedenken der Zeiten, als fiese Semmelknödel-Pistoleros, Law-and-Order-Banditen und hyperkorrupte Herrenreiter wie Kiesl, Klein, Uhl, Podiuk und der inzwischen zum wunderlichen Berghütten-Dalai-Lama gereifte Peter Gauweiler mit Terrorsprüchen und Stammtischkanonaden das langhaarige Linkspack von RAF-Sympathisanten und Anti-Atom-Luftballonfreaks aus der Stadt hinauszufegen antraten, während verträumte Juso-Idealisten den gesamten Voralpenraum mit bonbonbunten Hochhaustrabantenstädten und Fußgängerzonen in ein Paradies der utopischen Multikultidemokratie transformieren wollten.

Ich habe von den beiden nur Josef Schmid mal flüchtig kennengelernt und bei unserem Händedruck krampfhaft nicht daran zu denken versucht, daß mich sein unseliger Gottkönig Franz Joseph der Erste und Letzte wahrscheinlich ohne mit der Wimper zu zucken in ein chilenisches KZ deportiert und mein damaliges „Milieu“ im Falle einer freundlichen Begegnung mit einem CSU-Dunkelmann ein ebensolches Vorgehen ebenso energisch befürwortet hätte.

Ist nun also nach Deutschland endlich auch Bayern in ein Stadium der Zivilisation eingetreten, in dem man sich eine lesbische Öko-Bürgermeisterin in Oberammergau genausogut vorstellen kann wie einen CSU-Chef mit Marxbart und Wasserpfeife, in dem sich alles mit allem versöhnt und verbrüdert und beim gemeinsamen Peace-Ringelreihen im Chor „Laßt uns neu denken! Ja!“ singt?

Oder geht die allgemeine Harmonieduseligkeit eher darauf zurück, daß deutsche Soldaten inzwischen in mehr Ländern Krieg führen als im gesamten 19. Jahrhundert, daß der alltägliche inländische Sozialkrieg um die Umverteilung des gesamten Volksvermögens von unten nach oben ein Ausmaß und eine Intensität erreicht hat, von denen man damals nur alpträumen konnte, daß der kolonialistische Massenmord derart institutionalisiert und verheerend ist, daß man sich fragt, was all die Naziparteien eigentlich überhaupt noch wollen?

Mag dies sein, mag das sein. Ich fürchte, der Frühling läßt auch mich nicht ungeschoren, und bevor ich mich mal wieder von aufgebrachten Lesern als unverbesserlicher Misanthrop und ewiggestriger Schwarzmaler ausschimpfen lasse, verliere ich mich lieber ebenfalls in fondantfarbenen Traumschleiern: Möge, welcher der beiden Hippies auch immer als – nicht „Sieger“, sondern sagen wir mal: demutsvoller Erwählter – aus dem Wahlkampf-Love-In hervorgegangen ist (und selbst wenn’s die grüne Laugenstange war), mit Milde, Weisheit, neuem Denken und einem umfassend freundlichen „Ja!“ dazu beitragen, daß von münchnerischem Boden Friede, Liebe, Verzeihung und Verständigung ausgehen, bis dereinst die ganze Welt ihre Kriegsbeile in Endlagerstätten deponiert und sich feuertrunken in den Armen liegt.
Illuminieren können wir das Festival ja mit erneuerbarer Energie: gewonnen aus dem Rotieren des unseligen Großkönigs in seinem Grab.

Die Kolumne „Belästigungen“ erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

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