Belästigungen #429: Hilfe! Killerplapperer und Todesfasler greifen die Freiheit an!

Aus allen möglichen Richtungen wird mir derzeit mitgeteilt, meine Freiheit sei in höchster Gefahr, unter anderem weil ein amerikanischer Geheimdienst meinen SMS-Austausch mitliest und unsere Regierung irgendein Handelsabkommen aushandelt oder irgendwie so. Hinzu kommen dann noch diese und jene anderen Bedrohungen und Dings und Dongs, und summa summarum – schwupps, ist die Freiheit weg.

Das ist blöd, weil eine Freiheit ist schon schätzenswert und auch ganz chic, und wenn sie weg ist, sitzt man plötzlich im Gefängnis und kann sich gar nicht mehr erinnern, wie und wieso man da hineingekommen ist. Am Ende hat man bloß mal zufällig eine falsche Partei gewählt, die dann irgendeine Zwangsplanwirtschaft oder so was eingeführt hat, was ganz doof ist und die Freiheit kaputtmacht und so weiter. Oder, auch das wird gern genommen: irgendwas „Ideologisches“. Zum Beispiel ist es total „ideologisch“ und freiheitskaputtmachend, wenn eine Regierung „den Staat aufbläht“ und ihren Bürgern – zu denen nun mal auch internationale Großkonzerne gehören, „Steine in den Weg legt“, die sie am „freien Wirtschaften“ hindern und all so was. Denn merke: Wenn erst einmal der Großkonzern nicht mehr tun und lassen und ausbeuten und zerschreddern darf, wen, was und wie er will, dann ist irgendwann auch das kleine Kleinbürgerlein dran!

Sowieso ist der Mensch gerne frei, weshalb es eine ungeheure Errungenschaft ist, daß er heutzutage jederzeit alles über den Haufen werfen und einen „Neustart“ hinlegen darf und kann – etwa indem er sich einen supi Billigjob in einer Plattenbaumetropole am Arsch der Welt sucht und diesen bei Bedarf wieder hinschmeißt, um fünfhundert Kilometer weiter einen noch billigeren Billigjob anzutreten. Wem dabei Arbeitsrecht, Tarifverträge, Gewerkschaften, Beziehungen, Freundschaften, Familie, Menschenrechte und sonstige lästigen Verstrickungen hinderlich sind, der darf solchen Tand rückhaltlos über Bord werfen und seine Freiheit genießen. Wenn ihn halt nicht grad ein amerikanischer Geheimdienst abhört. Oder so ähnlich.

Gefährlich wird es indes auch dann, wenn ein hungernder Elendsflüchtling daherkommt und dem freien Deutschen seinen Billigjob streitig macht, indem er sich als noch billigeres Ausbeutungsmaterial zur Verfügung stellt. Da ist es schnell vorbei mit der Freiheit, und deswegen freut es den freien Deutschen, daß seine Regierung derlei Armutsmigration einen Riegel vorschiebt und das gierige Lumpenpack schon weit vor der deutschen Freiheitsgrenze ins Meer schmeißen läßt oder notfalls, wenn es doch mal einer schafft, durch den Stacheldraht zu schlüpfen, diesen in ein Sammellager sperrt und bei nächster Gelegenheit ins hinterste Hinterbulgarien verschafft. Wo kämen wir sonst hin!

Hingegen ist es absolut freiheitskaputtmachend, wenn der narrische Schweizer neuerdings per Volksabstimmung eine „Masseneinwanderung“ von deutschen Milliardären und Steuerbetrügern verhindern will, weil das geht schließlich gar nicht. Ein freier Mensch darf hingehen und -ziehen, wo er will, solange er nicht arm ist und vom Balkan oder aus Afrika oder sonst wo herkommt!

Bedenken muß man da nicht haben, und dumm daherreden tun auch generell bloß Blockierer, Besitzstandswahrer und sonstige „Ideologen“. Zum Beispiel: „Kapitalistische Ordnungen sind potentiell faschistisch.“ Das behauptete 1971 der Generalsekretär der FDP (für die Jüngeren: Das war mal eine Partei), an den sich nicht nur die FDP am liebsten überhaupt nicht mehr erinnern mag, weil solche infamen Behauptungen die Freiheit bedrohen und deswegen streng verboten sind. Ein wahrer Freiheitsliebhaber würde so etwas nicht mal denken, ohne sich in Grund und Boden zu schämen!

Querulanten wie ich hingegen denken so was schon mal ganz gerne und kommen dann noch auf ganz andere Gedanken. Dann fragen wir uns zum Beispiel, was „Freiheit“ eigentlich ist und wieso im Zusammenhang damit gewisse Leute ständig Vokabeln wie „Leistung“, „Wachstum“ und „Wettbewerb“ herumblöken und es am Ende noch als Einschränkung der „Freiheit“ anprangern, wenn sich irgendein Würstchen darüber aufregt, daß ein Sarrazin mit seinen widerwärtigen „Meinungen“ sämtliche Medienkanäle zukleistert.

Und dann denkt so einer wie ich: Freiheit als Ergebnis irgendeiner schwammigen Idee von „Leistung“ zu definieren ist nicht etwa liberal, sondern faschistisch. „Arbeit macht frei“ lautet hierzu der weltbekannte Slogan, und es hilft wenig, aus Gründen der Inklusion des Kapitaladels in die Volksgemeinschaft zu behaupten, auch Geld könne neuerdings arbeiten, wenn das schon seine Besitzer nicht tun. Das „Bürgerrecht“ beginnt keineswegs erst dort, wo jemand durch den Einsatz von Muskel- oder Gehirnkraft oder deren geraubtem Niederschlag in Form ererbter Moneten irgendwelche angeblichen „Werte“ schafft, die dann an der Börse auf wundersame Weise immer größer werden.

Auch wer seinen terroristischen Ehepartner oder eine verrückt gewordene Regierung loswird – sei es durch Mord, Flucht oder innere Emigration –, ist damit noch lange nicht frei, selbst wenn sämtliche Geheimdienste dieser Welt hoch und heilig versprechen, nie mehr eine SMS mitzulesen. „Die Ausspähung“ nämlich, um meinen lieben Freund und Gleichgesinnten Kay Sokolowsky zu zitieren, „beschädigt Menschen nicht mehr als die Halluzination, sie könnten unter dem Diktat des Marktes autonom über ihr Leben verfügen.“

Bisweilen lohnt es sich auch, mal wieder in alte Bücher hineinzuschauen und zum Beispiel von Adorno zu erfahren: „Die Menschen haben den Begriff der Freiheit so manipuliert, daß er schließlich auf das Recht des Stärkeren und Reicheren herausläuft, dem Schwächeren und Ärmeren das wenige abzunehmen, was er noch hat.“ Und sowieso gibt es „keine Freiheit, solange ein jedes Ding seinen Preis hat“.

Schwupps – schon ist die Freiheit wieder da: indem wir nämlich über den ganzen Käse, der diesbezüglich zusammengefaselt wird, nicht mehr weiter nachdenken müssen.

Die Kolumne „Belästigungen“ erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

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