Belästigungen #417: Wieso das Private politisch und das Politische gulugulu (und das insgesamt wurst) ist

Meine Kolumne, sagt ein Freund, gerate in letzter Zeit dermaßen privatistisch, daß es ein Skandal sei: nur noch Herz- und Liebesarien und philosophisches Gewölk! Ich müsse mich Handfestem widmen, den wichtigen „Themen“ nämlich der Politik, schließlich seien demnächst Wahlen und pi pa po.

Ich spare mir den Einwand, wir wüßten doch seit Meinhof, Adorno und den Sechzigern, daß das Private politisch und nichts so politisch sei wie Liebe und daß es ein richtiges Leben im Falschen nicht gebe etc. pe pi pa po, weil der heißen Münchner Sommerluft nichts hinzuzufügen ist und ich zum Baden will.

Also gut: Politik. Deren greulichen Emanationen in Form zerlumpter Plakatständer ist auf dem Weg von Schwabing zum Flaucher so und so nicht zu entgehen. „Statt abhören zuhören“ fordern die „Grünen“ (von wem, steht nicht dabei), „Zuhören statt abhören“ empfehlen die „Piraten“ (wem, steht nicht dabei), und die drittwichtigste neoliberale Flummypartei hält „Politik muß zuhören, nicht abhören“ für einen guten Rat (an wen, steht nicht dabei). Freilich, weil für das Abhören sind ja die Geheimdienste zuständig, gelt? denke ich und ärgere mich sogleich über die sinnlose Verschwendung von Denkkapazität, die ich ebensogut einem frei assoziierenden erotischen Sinnieren widmen hätte können; aber aus diesem reißt mich ein gelackter Schnösel von derselben Flummypartei, der es wagt, „Gerechtigkeit statt Umverteilung“ in die kaputtgeschandelte Münchner Stadtlandschaft hineinzuplakatieren. Und schon denke ich wieder: Wenn ein Vertreter der Partei, die seit vierzig Jahren nur einen einzigen Zweck verfolgt (die Umverteilung der gesellschaftlichen Reichtümer von unten nach oben) vor vierzig Jahren derart dreist dahergekommen wäre, hätte man ihn geteert und gefedert auf einer Eisenbahnschiene nach Pullach getragen. Heutzutage hat er damit vielleicht sogar „Erfolg“.

Und schon habe ich auf „Politik“ ebenso viel Lust wie auf eine gebackene Weißwurst in Fischsud mit Zigarettenfiltermarmelade. Es gibt, sage ich dem Freund, der mich zum Besuch einer „politischen“ Veranstaltung überreden möchte, tausende grimmfotzige Meckerkolumnenschreibsler, die sich mit wichteligen Bißgurkereien über derartigen Blödsinn ein paar Euros und „Jawoll! Recht hast!“-Schulterklapse verdienen. Ich möchte damit bitte danke nichts zu tun haben, weil ich unter dem Wasserfall lieber das Gesicht einer unerreichbaren Sommerliebe imaginieren und mich auf Bier und Breze vorfreuen will. Für mich könnte auf diesen Plakaten genausogut „Gulugulu“ stehen, wobei ich immerhin an eine nette alte Dagobert-Duck-Geschichte dächte und nicht an die Armee von Deppen, deren Anwesenheit in meinem Leben ich verhindere, indem ich seit 2012 den Fernseher nicht mehr eingeschaltet habe.

Aber jetzt ist ein anderer Gedanke da und geht nicht mehr weg: der an den „Erfolg“, den der FDP-Heini mit seinem unverschämten Blödspruch möglicherweise hat und bei dem ich mich frage, was er eigentlich ist. Etymologisch ist die Sache relativ klar: Erfolg ist, um H. Kohl zu zitieren, was hinten rauskommt, also erfolgt. Aber wie kommt es, daß ein Wort, das es vor hundert Jahren (im Singular) noch gar nicht gab (geschweige denn Ableitungen wie „erfolgreich“), plötzlich der zentrale Begriff einer ganzen Welt und ununterbrochen Thema sämtlicher Plappereien ist? Wie konnte aus etwas derart Banalem wie dem Eintreten einer Wirkung aufgrund Zufall oder Ursache der heilige Oberfetisch einer den gesamten Planeten buchstäblich zum Kadaver leersaugenden religiösen Hysterie werden? Schließlich ist das, was erfolgt, im überwiegenden Normalfall Mist bis Katastrophe; selbst plötzlich eintretender Millionenreichtum eines glücklichen Lotto- oder Börsengewinners ist untrennbar damit verbunden, daß das Geld an anderer Stelle weggenommen werden muß und fehlt.

Ich vermute, das läßt sich mit Georg Francks Ansatz einer „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ erklären: „Die Aufmerksamkeit anderer Menschen ist die unwiderstehlichste aller Drogen. Ihr Bezug sticht jedes andere Einkommen aus. Darum steht der Ruhm über der Macht, darum verblaßt der Reichtum neben der Prominenz.“

Und darum macht man sich in Fernsehstudios zum Wetten-Vollhorst, hängt sich auf „Galas“ Lumpen aus Speckscheiben um, setzt sich monatelang auf Pfähle, plärrt auf Mikrobühnen spratzdoofe Witze in fünf Leute hinein, sonnt sich in beliebigem Blitzlichtgewitter, heiratet fünf Vogelscheuchen nacheinander und wurstelt sich mit den dümmsten Blödparolen („Bezirkstag reformieren – Pflege sichern“ – wer über so was eine Minute nachdenkt, dem platzt das Kleinhirn) in irgendwelche Parlamente: um „eine Rolle im fremden Bewußtsein zu spielen“. Weil das „Erfolg“ ist und man das braucht.

Und da sind wir wieder bei der „Politik“, wo es einzig darum geht; wo viertklassige Pfosten den Wecker auf Sonnenaufgang und das Telephon daneben stellen, um zu welchem „Thema“ auch immer ein herzhaftes „Gulugulu“ abzusondern und den Vormittagsorgasmus dem eigenen Bild im lokalen Reklameblättchen zu widmen.

Und ich – soll diesem Kasperltheater von  „Erfolgen“ auch nur eine Sekunde widmen, in der ich meine unbezahlbare Aufmerksamkeit einem verträumt funkelnden Augenpaar, einem sommerabendlichen Berg-und-Tal-Panorama in hauchender Nebelstille oder einer lustigen Anekdote aus dem Mund eines lieben Freundes schenken (!) könnte? Sorry: im Geiste auf der Leiste.

Die Kolumne „Belästigungen“ erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

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