Belästigungen #414: „Terror“! „Terror“! (und Nasenhaare für die NSA)

Die Vereinigten Staaten von Amerika wurden einst zu ehrenwerten Zwecken gegründet – „pursuit of happiness“ bla; zudem postuliert die Unabhängigkeitserklärung ein „Recht auf Revolution“, womit was ganz anderes gemeint ist als das Geplärr, mit dem zerzauste Punkhippies heutzutage ihre Biertischbewunderer beeindrucken möchten.

Lange her. Heute sind die USA eine gigantische Maschinerie zur Verhinderung von „Terror“, worunter sämtliche Versuche zu verstehen sind, dem Anschwellen der gesellschaftlichen Aknepickel, in denen sich Blut, Schweiß und Tränen von Milliarden Ausgebeuteten als geldiger Talg sammeln, Hemmnisse in den Weg zu räumen. Zu diesem Zweck ist der Riesenapparat Tag und Nacht damit beschäftigt, „Daten“ zu sammeln und alles zu überwachen, was auf Erden an Menschlichem kreucht, fleucht, schnauft, kauft, rauft, rudert, pudert, ömmelt und bömmelt. Keine E-Mail, die nicht archiviert, kein Brief, der nicht durchleuchtet, kein Telefongesäusel, das nicht auf relevante „Informationen“ geprüft würde – es steht zu vermuten, daß sich unter dem Hauptsitz der NSA in Crypto City (!) gigantische Bunker bis zum Erdmittelpunkt erstrecken, in denen Fantastilliarden von elektronifizierten Buchstaben und Ziffern herumschwirren und darauf warten, eines schönen Sankt-Nimmerleins-Tages „ausgewertet“ zu werden.

In Deutschland, wo „Terror“ seit dem Zweiten Weltkrieg praktisch nur von staatlich gesteuerten Naziorganisationen sowie der Springerpresse ausgeübt wird, geht man mit so was gelassen um. Zwar gibt es auch hier eine Reihe von „Geheimdiensten“, aber die sind so geheim, daß sie meistens selber nicht wissen, was sie gerade tun und je getan haben. Und während jeder popelige Grasbröseldealer relativ bald mitkriegt, wenn er polizeilich beäugt oder beohrt wird, könnten sich deutsche „Geheimdienste“ notfalls selbst abhören, ohne was zu merken. Die Ergebnisse ihrer munteren Kapriolen werden sowieso nach Dienstschluß geschreddert, und was soll’s auch – wenn ein geheimdienstlich initiierter Bombenanschlag hinhaut, merkt man das am „Bumm!“ und daran, daß hinterher die Springerpresse so lange geifert, bis mal wieder ein paar Gesetze verschärft und Repressalien gegen linksradikales Lumpenpack eingeleitet werden.

Vielleicht liegt die Wurstigkeit daran, daß die Deutschen mit dem Versuch, die Weltherrschaft zu erlangen, schon mal dermaßen grandios gescheitert sind, weil sie sich nicht auf das konzentriert haben, was zählt (Geld! Reformen!), sondern alle möglichen völkischen, folkloristischen und idiotischen Hampeleien hineingerührt haben: Was der Hitler mit seinen antisemitischen Spinnereien verbockt hat, können Deutsche Bank und Merkel halt nur notdürftig kompensieren.

Zumal damals auch versucht wurde, mittels allumfassender Ausspitzelung jegliches Aufkommen von „Terror“ zu unterbinden – mit höchst kläglichem Erfolg. Wer alles weiß, so ist das halt, der weiß überhaupt nichts mehr und wird sich in seiner Wirrnis und Überforderung am Ende selber wegen Subversion wegsperren müssen. Übrig bleibt ein leeres, leise vor sich hin surrendes System.

So weit sind die Amis noch nicht. Die sind fleißig weiter am Überwachen, Abhören, Anzapfen, Spitzeln, Ausforschen, Entschlüsseln und vor allem: Sammeln, Sammeln, Sammeln. Um zu prognostizieren, wie das endet, genügt ein Blick in den Fischteich, in dem ein Hecht herumsteht: Der hat einen Schnappreflex und muß daher alles verschlingen, was sich ihm auf Maulschnappreichweite nähert. In dieser Hinsicht ähnelt der schmollige Fisch der im ökonomischen Biotop herumrumpelnden Geldsau: Egal wie prall die Wampe ist, es wird gespachelt, bis nichts mehr da ist – was selten vorkommt, weshalb es den Hecht, der das Pech hat, ins teichige Äquivalent einer im „Reformprozeß“ befindlichen „sozialen Marktwirtschaft“ hineinzugeraten, unweigerlich irgendwann zerreißt.

Hier öffnen sich lustige Perspektiven, wenn man das automatisierte „Datenklau!“-Gegreine mal einstellt. Wozu sich aufregen, daß die Ami-Agentur so viel über uns weiß – soll sie doch noch viel mehr erfahren! Scheißen wir sie zu mit „Daten“, pfropfen wir unsere Kommunikation voll mit Hinweisen, Andeutungen, „Informationen“: keine Mail mehr ohne das Schlüsselwort „Terror!“, kein Telephonat ohne eingestreute pseudoarabische Schimpfwörter, kein Spaziergang ohne eine zweckfreie „verdächtige“ Handlung vor einer Überwachungskamera, und vor allem darf kein Tag mehr vergehen, ohne daß jeder von uns der NSA (zu erreichen über www.nsa.gov) eine Mitteilung mit Daten schickt – von der Schuhgröße der 1965 verstorbenen Urgroßtante über die Höchsttemperaturen des Lerchenauer Sees an jedem Tag der vergangenen dreißig Jahre, den Kaloriengehalt des täglich verbrauchten Katzenfutters, die Seitenzahl aller je gelesenen Romane (mit Angabe der Vornamen der handelnden Figuren) und die Nummernschilder sämtlicher in Schwabing geparkter Autos bis hin zu einer umfassenden Aufzählung der natürlichen Zahlen und einer täglichen Folge von Photos unserer Nasenhaare, die im Begleittext mit Kosenamen belegt und einzeln identifiziert werden.

Die NSA wird nicht anders können als zuschnappen, so ist sie nun mal. Und wenn es sie dann nicht gleich zerreißt, dann wird sie jedenfalls die nächsten hundert Jahre dermaßen am „Auswerten“ sein, daß außer einem gelegentlichen Stöhnen aus den Tiefen der Datenbunker zumindest unsere Generation nie wieder etwas von ihr hören wird.

Die Kolumne „Belästigungen“ erscheint alle 14 Tage im Stadtmagazin IN MÜNCHEN.

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