Beim Schreiben eines Romans (7)

Er erinnerte sich an die Beerdigung an einem Dienstag im frühen Februar, zu der sie mit dem Zug nach Hannover gefahren waren, frühmorgens. Lisa war noch betrunken, er schwer verkatert; fünf Stunden lang betrachteten sie schweigend einen bleischwarzen Todeshimmel, der sich langsam achatartig graubraun färbte und ihnen zu folgen schien; dann waren sie zu viert (Vater, Mutter, Tochter, Schwiegersohn – der Rest der Verwandtschaft hatte sich nicht von seinen beruflichen Verpflichtungen befreien können) im winterlichen Sturmwind am Grab gestanden, hatten schweigend zugeschaut, wie der Sarg in der Grube verschwand.

Lisas Tränen hatten in ihm eine eigenartige stille Wut ausgelöst, weil er sie für rituell und falsch hielt; hinterher hatte ihr Vater mit acht Gläsern Schnaps den gesamten Alkoholkonsum ihres trostlosen Tisches in einem ansonsten leeren griechischen Lokal alleine bestritten und war dann plötzlich verschwunden. Lisas Mutter wischte sich mit zitternden Spinnenfingern immer dieselbe Haarsträhne aus dem Gesicht, während sie von ihren Bemühungen um das Erlernen der spanischen Sprache erzählte, dann begleitete sie sie zu Fuß zum Bahnhof, obwohl Urbin mehrmals anbot, ein Taxi zu bezahlen, und ging endlich, als der Zug anfuhr, mit gesenktem Kopf davon, ohne Lisas Winken zu bemerken. Die Tote war nicht ihre Mutter gewesen, sondern die ihres Mannes, der sich derweil in einer seiner Stammkneipen besinnungslos trank und dem Zahnstocherbehälter auf seinem Tisch unverständliche Geschichten aus seiner Kindheit erzählte.

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